Sonntag, 30. Dezember 2012

Café Diary 07



Tag 43

Jen zog einen Stapel loser Blätter aus der Tasche.
»Das ist jetzt aber nicht deine Hausarbeit, oder?« Dan rümpfte die Nase, als er einen Blick drauf warf. Leo warf ihm einen Radiergummi an den Kopf, während sich der Seimnarraum langsam füllte.
»Lass sie in Ruhe! Sie hat ein wirklich hartes Wochenende hinter sich.« Auf Leos Gesicht war ein breites Grinsen erschienen.
»Ach ja? Hat sie etwa so wild gefeiert am Samstag, dass sie die Auswirkungen jetzt noch spürt?«, wollte Dan wissen. Leo grinste, hüstelte und warf Jen einen amüsierten Blick zu.
»Halt die Klappe! Halt die Klappe, Leo!« Jen warf ihrer Freundin einen wütenden Blick zu, die albern zu kichern begann.
»Hab ich was verpasst?« Dan sah verwundert aus. Leos Kichern wandelte sich zu einem gackernden Lachen.
»Leo! Hör damit auf!« Jen stieß Leo an, die nur noch lauter und heftiger lachte.
»Wollt ihr mir nicht endlich mal verraten, was los ist?«, fragte Dan leise, um die Aufmerksamkit der eben eingetretenen Professorin nicht auf sich zu lenken.
»Nope«, antworteten beide Freundinnen unisono.

Charly hatte ihren Freunden schweigend, aber amüsiert zugehört. Sie verstand Dans Neugier, aber sie wusste auch, dass Leo niemals etwas verraten würde. Ein leises Kichern entfuhr ihr, als sie an gestern Abend dachte. Leo hatte Pizza gemacht, auf Jen gewartet und ihr nur kleine Brocken an Neuigkeiten hingeworfen. Klar, Leo hatte ihr von ihrem One Night Stand mit Marius berichtet und in allen Einzelheiten geschildert, was ihr an ihm gefiel und sehr detailiert, was nicht. Charly spürte, wie ihre Wangen warm wurden, als sie an die sehr ausfürlichen Beschreibungen dachte, die Leo von Marius zum Besten gegeben hatte. Allerdings hatte sie sich bedeckt gehalten, als es um Jen ging. Charly löcherte ihre Freundin, doch Leo schwieg – abgesehen von kryptischen Andeutungen. Erst als Jen mit gesenktem Haupt ins Haus geschliechen kam, klärte sich alles auf. Leo war von einem heftigen Lachanfall geschüttelt worden, während Jen sich immer unwohler fühlte. Charly hatte nicht verstanden, warum, bis Jen schlussendlich mit allem herausplatze. Tim. Sie konnte es immer noch nicht fassen.

»Sie sehen hier auf dieser Folie Ihre aktuellen Seminararbeitsthemen. Sie haben hierfür zwei Wochen Zeit und ich möchte Sie bitten, die Bücher der Bibliothek nicht auszuleihen, sondern das Benötigte zu kopieren oder vor Ort zu arbeiten. Die Anzahl der Bücher ist begrenzt und es wäre nicht sonderlich fair gegenüber Ihren Kommilitonen.«
Bei den Worten ihrer Professorin gähnte Jen verhalten. Seminararbeiten, Hausarbeiten, Aufsätze – das war nicht ihre Welt. Noch dazu waren die drei gestellten Themen an Langeweile nicht zu übertreffen. Erziehung des Menschen, Tugend und Laster, Symbolik des zerbrochenen Kruges – Schwachsinn. Sie warf ihren Freunden prüfende Blicke zu. Leo schien sich schon für ein Thema entschieden zu haben, denn sie kritzelte in ihrer unleserlichen Schrift wild auf dem Papier herum. Jen schnaubte. Sowohl Dan wie Charly hatten offensichtlich schon ihre Wahl getroffen. Nur ich mal wieder nicht. Wenn es aber um so was Weltbewegendes wie ein One Night Stand geht, da is‘ es dann kein Problem. Danke, liebes Hirn, dass du mal wieder so zuverlässig arbeitest!
»Was’n mit dir schon wieder los? Nachwehen vom Wochenende?«  Leo hatte eine Augenbraue gehoben, die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen, doch Jen konnte deutlich die Sorge in ihren Augen erkennen.
Glaubt die etwa ich bin schwanger? Selbst wenn man in Bio nie aufgepasst hat, sollte sie wissen, dass das SO schnell noch nicht festzustellen ist!
»Jetzt guck doch nicht gleich so, als ob ich dich gefragt hätte, ob er dich geschwängert hätt‘! Himmel, ich mach mir nur Sorgen, dass du dich mit Selbstvorwürfen zu Grunde peinigst!«
»Tu ich nicht, keine Angst.« Jen schaffte es, Leos Blick standzuhalten. Einen Teufel werd ich tun und zugeben, dass ich am liebsten in Grund und Boden versinken würd!
»Hast du dich schon mit einem der Themen angefreundet?«, wollte Leo wissen.
»Die sind alle zum Kotzen! Aber angesichts unseres Wochenendes …« Jen brach ab, bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte.
»…wäre das Tugend und Laster- Ding angebracht.«, beendete Leo den Satz. Jen verzog das Gesicht. Dieses verdammte Wochenende würde sie noch ewig verfolgen.

***

»Ach du heilige Scheiße! Was für ein beschissenes Referat! Haben die das echt nich‘ gerafft, dass die den Titel die ganze Zeit falsch ausgesprochen haben?« Jen konnte es immer noch nicht fassen.
»Scheint wohl der Fall gewesen zu sein.« Leo streckte sich und wühlte in ihrer Tasche nach Zigaretten.
»Wann schaffst du da drin eigentlich mal Ordnung? Das ist nicht auszuhalten!« Jen deutete mit deutlicher Missbilligung auf Leos Tasche.
Ein Grunzen war die Antwort.
»Was wollten die uns damit eigentlich sagen? Kabel und Liebe. Waren die echt zu doof, um zu bemerken, dass das Ding »Kabale und Liebe« heißt? Meine Fresse, oder haben die versucht für die Telekom Werbung zu machen?«
»Regst du dich da jetzt echt drüber auf, Jen? Dir muss echt langweilig sein. Leo scheint gut auf dich abzufärben.« Dan wich in letzter Sekunde dem Kaffeebecher aus, den Leo nach ihm geworfen hatte.
»Alter, das nächste Mal is‘ es das Nibelungenlied!« Leo warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Leo? Kann ich kurz mit dir reden?« Eduardo sah sie bittend an, während sich alle zu ihm umdrehten. Neben ihm stand mit hängenden Schultern Tim. Leo und Charly wechselten einen Blick und brachen in gackerndes Gelächter aus.

»Jen, bitte. Ich möchte mit dir über letztes Wochenende sprechen.« Tim klang gequält, bedrückt. Jen knirschte mit den Zähnen, als sie sah, wie ihre Freunde Mitleid empfanden. Außer Dan. Der starrte sie an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. Sie konnte sehen, wie er nachdachte, die Zusammenhänge zu erschließen versuchte. Komm schon, so schwer ist das nicht! Sie schnaubte verächtlich, als Dans Blick immer ungläubiger wurde.
»Es gibt nichts zu bereden, Tim. Lass mich einfach in Ruhe.« Jen verschränkte die Arme, während ihre beiden Freundinnen immer noch kicherten.
»Bitte!« Tim trat auf sie zu, berührte sie am Arm und sah sie flehend an. Sie konnte förmlich spüren, wie ihre Freunde dahinschmolzen. Wenn Charly oder Dan anfangen wie kleine Teenagerinnen zu seufzen und dahin zu schmachten, raste ich aus und ertränk sie in ihrem eigenen Sabber!
»Gib dir ‘nen Ruck und hör den armen Burschen wenigstens an«, flüsterte Leo. Jen warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu.
»Komm schon! Der sieht echt voll fertig aus!«
»Ich rede mit Tim, wenn du mit Mr Loverlover quatscht.« Jen deutete auf Eduardo. Leo grunzte irgendetwas Unverständliches. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während Jen Leos Gesichtsausdruck betrachtete.
»Also gut. Deal!« Leo nickte, drehte sich auf dem Absatz um und ging auf Eduardo zu.
Fuck! Meint die das jetzt echt ernst?

Leo atmete tief durch. Komm schon, das schaffst du. Hör dir einfach an, was dieser Lutscher zu sagen hat und dann schließ mit dem Thema ab. Konezntrier dich lieber darauf, keine One Night Stands mit irgendwelchen Kerlen einzugehen, egal wie süß oder heiß oder wie betrunken du bist! Leo musste über sich selbst lachen. Sie führte wieder einmal Selbstgespräche. Ihr Blick wanderte über Eduardos Gesicht, der aussah, als wäre heute Weihnachten und Ostern gleichzeitig. Was ein Lutscher!
»Dann sprich! Was immer du zu sagen hast, hau es raus. Und zwar schnell.« Sie verschränkte die Arme. Wenn sie die Sache mit Tim und Jen – oder zwischen Tim und Jen – nicht so süß gefunden hätte, wäre sie nie bereit gewesen mit diesem spanischen Vollpfosten zu sprechen. Nicht nach dieser Geschichte mit Beatrix.
»Ich … also … ich wollte mich für die Sache mit Bea entschuldigen. Es war dumm. Es war blöd. Und ich bereue es zutiefst, dass musst du mir glauben!« Eduardo griff nach ihren Armen, um sie auseinander zu ziehen und sah sie flehend an.
»Du willst mir also erzählen, dass es dir leid tut und so Scherze? Warst du betrunken? Warst du high? Warst du anderweitig nicht zurechungsfähig und hast nicht bewusst entschieden mit ihr in die Kiste zu hüpfen?«
»Ich … nein, ich war nicht betrunken. Ich war nicht auf Drogen. Ich war bei Bewusstsein. Aber du musst mir glauben, ich wollte das Alles nicht. Ich will Beatrix nicht. Ich will keine andere. Ich will dich!«
Leo schnaubte verächtlich. Abschaum!
»Leonora, bitte! Lass das mit uns nicht so enden!« Eduardos Stimme war unnatürlich hoch und der flehende Ton verursachte Leo Übelkeit.
»Ich weiß nicht, welcher Vogel dir ins Hirn geschissen hat, aber es gibt kein uns. Es gab nie eins und es wird nie eines geben. Und jetzt nimm den Finger aus dem Arsch und verpiss dich!« Unbeabsichtigt war Leo lauter geworden und unterhielt den gesamten Raucherbereich. Als sie sah, wie Eduardo den Kopf einzog, hatte Leo das Gefühl vor Verachtung schreien zu müssen. So ein Weichei! Wie konnte ich nur so blind sein?
»Leonora, bitte! Gib uns noch eine Chance!« Eduardo nahm ihre Hände zwischen seine und hauchte ein Kuss auf ihre Fingerspitzen. Leo entzog sich ihm und ließ ihn mit einem angewiderten Blick stehen.

Jen beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Leo Eduardo abservierte. Sie blendete Tim einfach aus, seine Worte prallten an ihr ab. Sie wollte nicht hören, was er ihr zu erzählen hatte. Was er ihr sagen wollte. Es ist doch schon peinlich genug, dass ich mit ihm im Bett gelandet bin. Warum kann er dann nicht einfach sagen »Okay; es war nur eine Nacht und wir waren betrunken. Nicht mehr nicht weniger.«? Aber nein, er muss hier ja einen auf tragischer Liebesromanheld machen. Spacko.
»Jennifer, ich liebe dich! Ist dir das denn wirklich so egal? Bin ich dir denn wirklich so egal? Die Nacht mit dir war die schönste meines Lebens! Gib uns eine Chance! Ich weiß, dass ich dir nicht so egal sein kann, wie du immer behauptest und tust. Jennifer, bitte!«
Es hätte nicht viel gefehlt, da war sich Jen sicher, und er wäre vor ihr auf die Knie gefallen, um sie anzubetteln. Gegen ihren Willen fühlte sie sich geschmeichelt. Er war auf seine Art und Weise süß. Trottelig süß, aber süß. Jen verschränkte dennoch die Arme, schob trotzig ihr Kinn vor und sah Tim herablassend an. Sie wollte nichts für ihn empfinden. Nicht für Tim.
»Jennifer, bitte! Bitte sag doch etwas!«
Die Unsicherheit in seiner Stimme rührte etwas in ihr. So ungern sie es zugab, sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Mit zusammengebissenen Zähnen konzentrierte sie sich auf Eduardo, der mit einem seltsamen Blick Leo hinterher sah. Was geht in seinem Kopf vor? Der Blick kann nichts Gutes bedeuten!
»Jennifer, bitte! Sieh mich an! Bitte, sieh mich an!«
Widerwilig richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Tim. Sein leidender Gesichtsausdruck, die Mischung aus Schmerz und Liebe in seinen Augen weckte ihr schlechtes Gewissen. Sie sah eindeutig, wie er litt. Ich kann ihm aber nicht das sagen, was er hören will! Es geht einfach nicht! Sie atmete tief durch, bereitete sich darauf vor, Tim das Herz zu brechen, als Eduardos Stimme sie aus dem Konzept brachte.
»Leo! LEO! VERDAMMT, LASS MICH HIER NICHT EINFACH SO STEHEN!«
Sie verdrehte die Augen, ein böses Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Stumm dankte sie Gott für diese Ablenkung – so hatte sie die perfekte Ausrede, um Tim links liegen zu lassen – und wandte sich an Eduardo.
»Du bist schon süß. Irgendwie. Aber nicht trottelig süß oder Hundebaby-süß, sondern eklig süß. Stalkerlike. Ich mein, was erhoffst du dir von dieser »Endstation Sehnsucht«-Nummer für Arme? Glaubst du, so beeindruckst du Leo? Schau sie dir an! Schau dich an! Du bist ein Lutscher. Ein kleiner, eierloser Lutscher!« Jen genoß Eduardos erschrockenen Gesichtsausdruck. Mit hämischer Freude sah sie, wie sich Verlegenheit und Wut in seinen Gesichtszügen spiegelte.
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Hast du nichts Bessere zu tun? Kleine Kinder verschrecken?«
»Oh, süß! Der kleine Lutscher macht auf dicke Hose! Hast du deshalb mit dieser komischen Schlampe gepimpert? Um dich nicht mehr wie ein kleiner Lutscher zu fühlen? Ich mein, es ist jetzt nicht so, dass ich’s nicht verstehen würde. Manchmal braucht man so ein kleines Abenteuer, um sein Ego aufzubauen. Aber dann musst du auch mit den Konsequenzen leben – wie jeder normale Mensch nach einem One Night Stand. Die einzige Ausrede, die man gelten lassen könnte, wären Drogen, Alkohol oder bewusstseinsverändernde, außerkörperliche Erfahrungen. Alles andere zählt nicht! Und ich nehme nicht an, dass eins davon auf dich zutrifft.« Jen hob eine Augenbraue. Beinahe hätte sie laut gelacht, als sie Eduardos Reaktion auf ihre Worte beobachtete. Sein Gesicht wechselte schneller die Farbe, als sie sich vorstellen konnte. Beiläufig bemerkte sie, wie sich Nina zu Dan gesellte und die gesamte Raucherecke sich um sie versammelt hatte. Nina sieht irgendwie ziemlich fertig aus, bemerkte Jen. Hin und hergerissen zwischen Neugier und Schadenfreude biss sie sich auf die Lippe. Soll ich mich jetzt weiter um Señor Chupa Chup kümmern ? Mich interessiert’s halt schon brennend, was mit Nina los ist – aber diesen Spacko zu ärgern macht einfach zu viel Spaß. Scheiße!
»Warum mischt du dich überhaupt ein? Was gibt dir das Recht, so mit mir zu sprechen? Das ist eine Sache zwischen mir und Leo. Nicht zwischen dir und mir. Dich geht das gar nichts an! Kümmer dich lieber um deinen eigenen Scheiß. Um deinen eigenen One Night Stand.« Eduardo klang wütend. Jen lächelte. Nina würde warten müssen. Das hier war viel wichtiger – und viel spaßiger.
»Weißt du, eigentlich hast du recht. Es geht mir wirklich nichts an. Aber ich find es einfach lustig, wie sehr du dich aufregst. Ich mein, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich aufhör, so lang du dich so wunderbar aufregst? Ich bitte dich! Dafür ist es viel zu lustig.« Jen grinste, als sie sah, wie Leo am Türrahmen lehnte und die Szene amüsiert beobachtete. Scheint so, als hätte ich ihre Zustimmung.
»Leo würde es niemals gutheißen, wie du mich behandelst! Sie liebt mich!«
Jen kaschierte ihren Lachanfall mit einem Husten, während Leo schnaubte.
»Gut, dass du weißt, was ich fühle. Interessant. Also, so weit ich weiß, nennt sich das Gefühl, was für dich empfinde, sicher nicht Liebe. Verachtung – ja. Mitleid – ja. Vielleicht ein bisschen Hass, aber Liebe? Liebe garantiert nicht.« Leo nahm einen Schluck Kaffee, den Blick unverwandt auf Eduardo gerichtet. Jen konnte sich nicht länger zusammenreissen und brach in schallendes Gelächter aus.
»Bäm! In your face, Lutscher!« Sie ging zu Leo, die ihr einen Becher reichte und ohne Eduardo eines weiteren Blickes zu würdigen, verließen sie das Gelände.

»Was war das denn?« Nina sah Dan fragend an.
»Das war die einzigartige Montagmorgen-Show powered by Leo und Jen.«, erwiderte Charly mit einem breiten Grinsen. Nina runzelte die Stirn. Sie verstand einfach nicht, warum Leo und Jen immer so extrem aggressiv auftraten. Was läuft bei den beiden eigentlich schief? Warum sind sie immer so sarkastisch? Können die auch mal ernst sein? Nina biss sich auf die Lippe. Heute Morgen hatte sie wieder so ein fürchterliches Paket erhalten. Blutige Barbieteile. Langsam, aber sicher war das kein Spaß mehr. Nina glaubte nicht mehr an einen dummen, sehr makabren Scherz. Doch mit Dan konnte sie nicht darüber sprechen. Er würde sie nicht ernst nehmen. Niemand würde sie ernst nehmen. Vielleicht war das ja auch ein dummer Scherz von Leo oder Jen? Ihnen würde ich so etwas Geschmackloses zutrauen.
»Nina? Schatz? Alles okay?« Dan streichelte ihre Wange, riss sie auf diese Weise aus ihren Gedanken.
»Alles okay. Alles gut. Ich muss los. Unterricht und so.« Nina drückte Dan einen halbherzigen Kuss auf die Wange und eilte davon.

Dan runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht mit Nina. Irgendetwas beschäftigte sie, da war er sich sicher. Nur was? Warum erzählt sie mir nicht, was sie beschäftigt? Ob sie mit mir Schluss machen will?
»Ehrlich, Dan, du solltest dir nicht ständig so viele Gedanken um Nina machen. Vielleicht hat sie ihre Periode. Vielleicht hat sie einfach nicht genug geschlafen. Vielleicht ist sie einfach sonst irgendwie gestresst. Denk doch mal, mit wem sie zusammen lebt. Da würdest du auch nicht ständig wie ein Glücksbärchi durch die Gegend laufen«, erklärte Charly plötzlich.
Kann sie meine Gedanken lesen? Dan warf ihr einen seltsamen Blick zu. Sie hängt eindeutig zu viel mit den beiden Stresserellas rum. Jen und Leo färben zu sehr auf sie ab.
Charly schnaubte, als Dan keinerlei Reaktion zeigte. »Ich weiß nicht, was du jetzt noch vorhast – außer Trübsal blasen –, aber ich geh jetzt zum Unterricht.«
Dan schenkte ihr keinerlei Beachtung. Seine Gedanken kreisten unentwegt um Nina. Wie in Trance bewegte er sich ins Gebäude und zum Unterricht.

***

»Sämäntha« wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger und lächelte selig. Sie hatte die ganze Zeit auf einer der Bänke im Außenbereich der Cafeteria gesessen und Jen beobachtet. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihre ehemalige Freundin – wenn man es denn so bezeichnen wollte – zu vernichten. Nicht nur, weil sie das Gefühl hatte, Ben irgendwie durch Jen verloren zu haben, sondern auch einfach nur, weil sie es konnte und weil sie ihr die Kaffeeduschen heimzahlen würde. Ihr Lächeln verblasste, als sie auf ihr Handy sah. Keine Nachricht von Ben. Seit Tagen meldete er sich nicht mehr bei ihr, ließ sich verleugnen. »Sämäntha« biss sich auf die Unterlippe. Sie fühlte sich gedemütigt. Wie kann er es wagen, mich nicht mehr zu wollen? Wie kann er mich zurück weisen? Ich bin das Beste, was ihm jemals passieren wird!
Mit einem gedämpften Seufzer schüttelte sie leicht den Kopf. Sie ging noch einmal die beiden Gespräche durch, die sie beobachtet und belauschte hatte. Der gutaussehende Südländer war sicher keine Schwachstelle von Jen, außer sie hatte sich unglaubliche Schauspielkünste angeeignet. Allerdings hatte »Sämäntha« bemerkt, wie dieser leicht verschüchterte, junge Mann Jen angehimmelt hatte. Vielleicht war er der Schlüssel, um Jen zu vernichten, um sich an ihr zu rächen. Wenn ich ihn dazu bringe, sich von ihr abzuwenden, wird sie das sicher verletzen. Mehr als damals die Sache mit Ben. Und das war schon hart. Aber vielleicht bekomm ich über ihn auch irgendetwas über sie heraus, was ich gegen Jen verwenden kann. »Sämäntha« rümpfte die Nase. Der Kerl war definitiv nicht ihre Liga, aber sie war bereit sich auf sein Niveau zu begeben, um ihr Ziel zu erreichen. Manchmal muss man eben Opfer bringen. In Gedanken malte sie sich ihren Plan aus und verdrängt die Traurigkeit, die Einsamkeit, die sich in ihr breit machen wollte. Ich lasse nicht zu, dass mit Ben aus der Bahn wirft! Er wird schon noch sehen, was er davon hat, dass er mich verlassen hat. Und Jen wird eindeutig dafür büßen! Es ist zu offensichtlich, dass sie ihre Finger im Spiel hat! Vielleicht sollte sie sich doch an den schnuckligen Südländer halten. Vorsichtshalber vielleicht auch an beide. »Sämäntha« lächelte glücklich.

Fatima wand sich. Sie krallte die Hände in das durchgeschwitzte Laken und stöhnte schmerzerfüllt. Ben lehnte im Türrahmen und beobachtete sie. Seit sie mit ihm nach dem Konzert nach Hause gegangen war, schien sie in einer Art Fiebertraum gefangen zu sein. Er hatte ihr heimlich noch mehr seines Giftes verabreicht. Danach war es ihr kurze Zeit besser gegangen, bevor sie sich wieder vor Schmerzen wand und krümmte. Sie wird mir doch jetzt wohl nicht sterben! Nicht hier! Nicht jetzt! Ben war hin und hergerissen. Sein Gewissen drängte ihn dazu, Fatima ins Krankenhaus zu bringen, doch der Wissenschaftler in ihm wollte mehr über die Wirkung seiner kleinen Mischung erfahren.
Als sie aufschrie, zuckte Ben zusammen. Vielleicht sollte ich ihr noch eine kleine Dosis verabreichen. Scheint, als wäre sie auf Entzug. Rasch zückte Ben eine Spritze mit der Flüssigkeit, die er für solche Fälle vorbereitet hatte und verabreichte Fatima die Flüssigkeit. Fasziniert bemerkte er, wie es ihr augenblicklich besser zu gehen schien. Sie entspannte sich, hörte auf zu Stöhnen. Doch sie schwitzte nach wie vor und schien immer noch in ihrem Fiebertraum gefangen zu sein. Er legte ihr eine Hand auf die Stirn. Sie glühte. Ihre Haut war viel zu heiß. Ben runzelte die Stirn. Mit dieser körperlichen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er zog sein Smartphone heraus und notierte sich die neusten Beobachtungen. Ich hoffe, sie hält noch ein bisschen durch. Ich muss wissen, welche Auswirkungen mein kleines Gemisch noch hat.

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