Donnerstag, 28. Februar 2013

Café Diary 08 - Warum liegt hier Stroh? (Auszug)



Tag 52

Julia rieb sich nervös den Nacken. Die ganze Nacht hatte sie an Nicks Seite gesessen und über seinen Schlaf gewacht. Was er im Traum gemurmelt hatte, beunruhigte sie immer noch. Wie viel weiß Leo? Weiß sie überhaupt etwas? Vermutet Nick nur, dass sie was mit Fatimas Verschwinden zu tun hat? Was, wenn Leo Ben auf die Schliche gekommen ist? Aber warum unternimmt sie nichts gegen ihn? Sie biss sich auf die Lippe, zog den Kopf etwas ein und bemühte sich, unauffällig zu wirken. Sie wollte nicht angesprochen werden. Sie wollte nicht gesehen werden. Sie wollte nicht einmal hier sein.
Ich will doch nur ich selbst sein! Mein eigenes Leben Leben!
»Anna-Maria?« Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Julia brauchte einen Augenblick, um zu verstehen. Ach ja. Ich bin ja jetzt gerade »Anna-Maria«. Sie seufzte. Nur mit Glück war Nick gestern nicht hinter ihr Geheimnis gekommen. Zum ersten Mal hatte sie in ihrer Wohnung ebenfalls eine Perücke tragen müssen – ein unangenehmes Gefühl.
»Was gibt’s?« Sie drehte sich um und blickte direkt in die Augen Leos. Klasse!
»Alles okay? Du hast grad ausgesehen, als würd’s dir nicht gut gehen. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Super! Ausgerechnet du willst mir helfen? Du bist doch an allem schuld! Wärst du doch nie meinem Bruder begegnet!
»Ne, alles okay. Alles gut.« Julia schüttelte Leos Hand ab. Hat sie mich durchschaut? Weiß sie, wer ich bin?
»Sicher? Kommt mir nicht so vor.«
»Vielleicht will ich auch einfach nicht darüber reden?« Julia drehte sich um und betrat das Gebäude. Sie wusste genau, dass Leo sie beobachtete. Verdammt, Ben! Warum? Warum musst du nur so auf Rache aus sein?

Leo hob eine Augenbraue, während sie Anna-Maria folgte. Das Verhalten ihrer Kommilitonin war ihr mehr als nur merkwürdig erschienen. Sie erinnert mich an irgendjemanden, aber an wen? Ich hab  das Gefühl, das Ganze hier schon einmal erlebt zu haben. Mit Anna-Maria. Aber damals war es nicht Anna-Maria, sondern Julia. Bens Schwester. Die hat sich auch immer so auffällig seltsam benommen, wenn sie etwas zu verbergen hatte oder ihr schlechtes Gewissen sie in den Wahnsinn trieb. Leo rieb sich das Kinn. Sie erinnerte sich dunkel an Julias große Leidenschaft, Schauspielerin zu werden. Ein verächtliches Schnauben entwich ihr. Das ist doch total verrückt! Das ist völlig abwegig!
Als sie den Seminarraum betrat, herrschte eine seltsame Ruhe, die sie verwunderte. Wie bitte? Keine Zickereien? Kein Kleinkrieg zwischen den Asiatinnen und Vicky? Was ist denn hier los? Bin ich im falschen Stockwerk? Im falschen Zimmer?
Mit gerunzelter Stirn und fragendem Blick setzte sie sich an ihren Tisch und musterte die Anwesenden misstrauisch. Anna-Maria wich ihrem Blick aus, die Asiatinnen feixten – Leo kam sich völlig fehl am Platz vor. Wenn jetzt die Streberfraktion noch nett zu mir ist, dann bin ich eindeutig in einem Paralleluniversum. Sie verschränkte die Arme und wartete.

Julia biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte den misstrauischen Blick Leos bemerkt. Sie ahnt etwas! Sie weiß etwas! Was mach ich jetzt?
Das plötzliche Eintreten von Monika und Frauke lenkte sie ab. Prüfend sah sie möglichst unauffällig zu Leo hinüber, die die beiden Frauen äußerst feindselig betrachtete. Erleichterung breitete sich in ihr aus. Wenn Leo sich auf die beiden konzentriert, vergisst sie mich vielleicht.

»Wo ist denn unsere Barbie-Puppe? Unsre kleine Aggro-Barbie?« Monika kicherte gehässig. Leo schloss die Augen, zählte bis zehn und bemühte sich, nicht auszurasten. Ihr war klar, dass Monika über Vicky sprach. Sie hoffte allerdings, dass sie so klug war, nicht in ihrer Gegenwart über Vicky zu lästern. Dann raste ich aus! Ich kann das einfach nicht ab!
»Wahrscheinlich hat ihre einzelne Gehirnzelle gemerkt, dass das Studieren nichts für sie ist und sie hat endlich das Feld geräumt und Platz geschaffen für jemanden, der mehr Grips hat und das Studium mehr verdient.«
Bei Fraukes Worten ballte Leo die Hände zu Fäusten und betete, dass ihr Professor gleich auftauchte. Ich reiß diesen gehässigen Biestern gleich den Kopf ab!
»Allerdings werde ich sie etwas vermissen. In ihrer Gegenwart war ja sogar die kleine Ersti hier klug.« Leo fing Monikas Blick auf. Es war, als würde sich ein Schalter in ihrem Kopf umlegen. Als sie aufstand, wusste sie, dass sie vollkommen ruhig wirkte. Mit großen Schritten ging sie zu Monika, lächelte und hob die Hand. Das laute Klatschen der Ohrfeige hallte durch den Seminarraum.
»Hoffentlich hat das geholfen, deinen Restverstand wieder an Ort und Stelle zu schütteln. Aber vorsichtshalber … doppelt hält ja bekanntlich besser.« Leo holte erneut aus und schlug Monika mit aller Kraft ins Gesicht. Sie konnte Frauke entsetzt keuchen hören und Anna-Maria kichern. »Entschuldige mich bitte, ja? Ich brauch jetzt einfach zickenfreie Luft.« Ohne nur ansatzweise ein schlechtes Gewissen zu haben, verließ sie den Raum.
Scheiß drauf! Ich geb mir das heut nicht!

***

Ben saß auf einer Bank vor dem Brechtbau. Seit Tagen war Fatima verschwunden. Er konnte sich denken, was passiert war. Nicks Gemurmel war zwar zusammenhanglos gewesen, aber er hatte sich einiges zusammen reimen können. Leo. Leo war ihm also nicht auf den Leim gegangen, sondern auf die Schliche gekommen. Ich muss herausfinden, was sie weiß. Ich muss herausfinden, was sie gegen mich in der Hand hat. Ich muss verhindern, dass sie mich an die Polizei verraten kann! Ich muss sie aufhalten!
»Ben? Was zum Geier machst du hier?«

Leo blieb wie angewurzelt stehen. Erst die Streberfraktion, jetzt das hier. Was will denn dieser Spacko hier? Meint er, nur weil ich mich auf eine Art Allianz eingelassen hab, heißt das, dass er sich wieder als mein Schatten aufspielen kann?
»Was machst du hier?«, wiederholte sie, als er weiterhin schwieg.
»Ich … warte auf meine Schw… ich warte auf jemanden.«
Schwester? Wollte er Schwester sagen? Julia ist auch hier?!
»Ja? Auf wen wolltest du warten? Auf deine SCHWESTER?« Leo bemerkte mit grimmiger Befriedigung, wie Ben zusammen zuckte. Na, Spasti? Schlechtes Gewissen? Hab ich dich erwischt? Wenn Julia hier ist, dann haben wir ein ernstes Problem!
»Du musst mich falsch verstanden haben. Was sollte denn Julia hier in dieser Pampa machen? Hamburg ist doch ein viel besseres Karrieresprungbrett! Du wirst noch paranoid, wenn du nicht aufpasst! Hamburg ist doch ein viel besseres Karrieresprungbrett! Du wirst noch paranoid, wenn du nicht aufpasst!« Bens Lachen klang so falsch, dass Leo automatisch grinsen musste. Sie kannte dieses Lachen zu gut, um sich täuschen zu lassen. Sie trat ganz nah an ihn heran und beugte sich zu ihm.
»Denk bloß nicht, dass du mich täuschen kannst! Ich kenne dich viel zu gut. Ich weiß, dass dir jedes Mittel recht ist, um deine kranken Pläne zu verwirklichen und du weißt so gut wie ich, dass du dafür auch deine Schwester einspannst – egal, ob sie möchte oder nicht. Aber falls du glaubst, ich lasse mich davon einschüchtern oder bin beeindruckt und ziehe den Schwanz ein, dann hast du dich getäuscht. ICH werde mich für Hamburg rächen. Für meine Freunde. Für alles, was du mir und ihnen angetan hast. Du wirst fallen und ich werde dabei zusehen und es genießen.«
Mit einem breiten, zufriedenen Grinsen wandte sich Leo ab und ließ Ben einfach stehen. Sie zog ihr Handy aus der Tasche, schickte Jen eine SMS, dass sie heute nicht zur Vorlesung kommen würde und streckte sich. Ein schöner Tag, um diesen Bastard zu vernichten! Leo hüpfte beinahe durch die Straßen Tübingens, so beschwingt war sie durch ihren Erfolg.

Ben starrte Leo hinterher. Verdammt! Ich hab‘ sie unterschätzt! Ich hab sie wirklich unterschätzt! Ich hab‘ wirklich geglaubt, sie nimmt mir die nette Nummer ab. Ich hab‘ wirklich geglaubt, ich kann sie erneut blenden. Was mach ich denn jetzt? Hat Julia geplappert? Oder hab‘ ich mich wirklich so verraten?
Ben ließ den Kopf hängen. Er verstand die Welt nicht mehr.

Mark lächelte. Na, wenn das kein glücklicher Zufall ist! Sieht so aus, als hätte ich endlich die Verbündete gefunden, die ich gesucht habe! Bruderherz, dein letztes Stündlein hat geschlagen!
»Quinn? Ist sie das? Das Mädel, von dem du mir erzählt hast? Die Ex meines Bruders, die ihn aus tiefstem Herzen hasst?«
»Genau das ist sie.«
Quinns bestätigende Worte ließ Marks Lächeln zu einem zutiefst zufriedenen Lächeln werden.
»Sorge dafür, dass sie sich uns anschließt. Wir brauchen sie. Wir brauchen sie dringend.«
»Aber sie mag mich nicht!«
»Dann sorg dafür, dass sich das ändert!«, herrschte Mark Quinn an, bevor er sich Patrick zuwandte. »Und du sorgst dafür, dass die kleine Rosahaarige ebenfalls auf unserer Seite steht. Irgendetwas sagt mir, dass sie eine wichtige Rolle spielen wird.«
Patrick nickte. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«

***

Jen runzelte die Stirn. Leo schwänzt also schon wieder? Und das so spontan? Da steckt sicher mehr dahinter. Hoffentlich stellt sie nichts Dummes an. Obwohl in ihrem Fall etwas Dummes immer im Zusammenhang mit Ben steht – vielleicht unternimmt sie etwas gegen ihn und kommt deswegen nicht? Scheiße, warum erzählt sie mir nie alles?! Warum immer nur Stück für Stück? Ihr Blick fiel auf Nick und Dan, die beide zusammen gesunken auf ihren Plätzen saßen. Na klasse. Und ich darf mich jetzt mit diesen beiden Heulsusen rumärgern. Wunderbar.
»Jungs, warum zieht ihr eigentlich so eine Fresse? Was ist los? Die Vorlesung hat doch noch gar nicht begonnen, wir sitzen vor dem Gebäude, chillen mit Bier und Burger und ihr seht aus, als hätte man euch in den Kaffee gepisst! Also, raus mit der Sprache! Wo drückt der Schuh?«
Keine Reaktion. Jen seufzte. Idioten!
»Jetzt stellt euch doch mal nicht so an! Maul auf und raus mit der Sprache! Dafuq ist los? Stress mit Nina? Und du Nick – machen dir deine Drogenprobleme zu schaffen? Herpes? Sonstige Geschlechtskrankheiten von irgendwelchen Groupies eingefangen?«
»Alter!?« Nick fuhr empört auf.
Aha, immerhin eine Reaktion!
»Nicht?« Jen lächelte süffisant.
»Nein! Wie kommst du auf den Bullshit? Drogenprobleme? Geschlechtskrankheiten? Bist du gaga? Kannst du dir in deinem kranken, kleinen Spatzenhirn vielleicht vorstellen, dass ich Liebeskummer hab?«
Jen schüttelte ungläubig lachen den Kopf. Nick und Liebeskummer. Das war definitiv nichts, was sie erwartet hätte.
»Liebeskummer?«, echote Dan mit brüchiger, trauriger Stimme.
Oh, yeah! Hört sich spaßig an – nicht!
»Oje, Jungs. Klingt, als bräuchtet ihr dringend jemand, der euch zuhört.« Jen setzte sich zu den beiden auf die Treppenstufen. »Ich hör euch zu – und keine Angst, es bleibt unter uns.«
Sie seufzte, als die beiden jungen Männer schwiegen.
Plötzlich bewegte sich Dan. Jen warf ihm einen aufmerksamen Blick aus dem Augenwinkel zu, hielt den Atem an und wartete. Ich darf mich jetzt nicht abrupt bewegen. Das ist wie bei Wildtieren. Wenn man sich zu schnell oder plötzlich bewegt, dann verschreckt man sie.
»Versprichst du, keine dummen Sprüche abzulassen? Keine Witze zu machen und die Klappe zu halten? Es nicht Leo oder Charly oder sonst wem zu erzählen?« Dan sah sie mit einem eindringlichen Blick an.
»Jaha. Versprochen.« Pedant!
»Nick?«
»Dude, seriously? Als würd ich dich jemals verraten!«
Ja, wir wissen’s. Wahre Liebe gibt es nur unter Männern!
»Nina spricht nicht mehr mit mir. Sie will mich nicht mehr sehen, sie will nicht mehr mit mir reden, sie will sich nicht mehr mit mir treffen. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber es muss irgendetwas Schreckliches gewesen sein. Irgendetwas, was sie erschüttert hat. Oder ich habe unbewusst etwas angestellt, aber ich weiß nicht was. Ich komm einfach nicht drauf und das quält mich mehr, als jemals irgendetwas davor. Es macht mich wahnsinnig. Ich dreh‘ bald durch!«, brach es aus Dan heraus. Bestürzt bemerkte Jen, wie Tränen in seine Augen traten. Scheiße, den nimmt das echt mit!
»Dan, ich würd mir da nicht so den Kopf zerbrechen. Nina hat momentan viel Stress mit ihrer psychopathischen Stiefschwester. Bei der würd ich auch total am Rad drehen. Das wird alles wieder, glaub mal.«
»Du hast leicht reden«, murmelte Dan.
Uff! Ich glaub, ich muss Nina mal den Kopf waschen. Kann ja nicht sein, dass sie ihrem Loverboy nichts erzählt und dafür alles an ihm auslässt. Da sollte sie das eher an Leo und mir auslassen. Oder an Fatima.
»Dan, ich versprech es dir. Das kommt wieder in Ordnung. Kopf hoch!«
»Dude, bei dir wird das eher wieder was, als bei mir. Ich hab‘ mich ordentlich in die Scheiße geritten.«
Jen hob die Augenbrauen, als sie sich Nick zuwandte. So deprimiert hab‘ ich Mr Sunshine ja noch nie gesehen!
»Ihr erinnert euch doch sicher noch an Britta. Britta, das Mädel, für das ich das Konzert gegeben hab. Ich dachte … nun, ich hab‘ geglaubt, ich bin in sie verliebt. Aber ich hab‘ mich geirrt. Es ist etwas passiert, was mir die Augen geöffnet hat. Und ich kann mir nicht helfen, ich kann nicht anders. Ich will nur sie.«
»Ich nehm‘ an, du sprichst von Charlie. Und was passiert ist – lass mich raten … ein One Night Stand?« Jen bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen.
Nicks Blick sprach Bände. Es war ihr anscheinend nicht gelungen.
»Tut mir leid, aber es war verdammt offensichtlich. Zumindest jetzt, nach dem, was du erzählt hast.«
Dan nickte zustimmend.
Vielen Dank, Loverboy, dass du mir hier zustimmst!
»Echt? Es war so offensichtlich?«
Jen hätte beinahe gelacht, so sehr amüsierte sie der geschockte Gesichtsausdruck Nicks, als sie und Dan nickten.
»Klasse. Dabei hatte ich gehofft, dass es keinem auffällt.«
»Naja, ich bin mir sicher, dass Charlie keinerlei Ahnung hat, was du für sie empfindest. Eigentlich ist sie der festen Überzeugung, dass du von ganzem Herzen Britta liebst und sie für dich nicht mehr als eine Art Lückenbüßer ist oder gar unsichtbar.«
»Das ist kompletter Schwachsinn!«
»Dann hättest du sie eventuell mal anders behandeln sollen! Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass es sie verletzt hat, dich ständig mit anderen Weibern zu sehen? Die ganzen zwei Monate hat sie nichts anderes getan, als dir zuzusehen, wie du anderen Weibern hinterher steigst oder mit ihnen ins Bett steigst oder für manche sogar ein Konzert veranstaltest! Da ist es doch wohl normal, dass sie denkt, du hast so gut wie gar kein Interesse an ihr!«
»Jetzt gib mir doch nicht die Schuld an dem Drama!« Nick war aufgesprungen, starrte Jen wütend an und schien das eben Gehörte nicht verarbeiten zu wollen.
»Boah, komm mal wieder runter! Ich hab‘ nur versucht, dir ihre Sichtweise zu erklären. Mehr nicht. Was hast du jetzt vor? Ich mein, für Brigitte … Birgit … also, für diese andere Tussi hast du ein Konzert gegeben. Was gedenkst du zu tun, um Charlies Herz zu erobern?« Jen deutete Nick, sich wieder zu setzen.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, um sie von mir zu überzeugen. Ich weiß nicht, was ich tun kann, um ihr Herz zu gewinnen. Wenn es dafür noch nicht zu spät ist. Aber … ich muss gestehen, wenn Britta in meiner Nähe ist und mich umsorgt, geht es mir besser. Ich fühl‘ mich dann energiegeladener. Als könnte ich die Welt stemmen, so wie es Atlas tat.«
Alter Falter, der is‘ ja komplett drüber!
»Ich kann ja mal vorsichtig nachfragen, wie die Lage ist. Versprechen kann ich aber nicht, dass sie von jetzt auf gleich auf große Liebe umschält und Kai Pflaume einlädt, für euch ‘ne Show zu veranstalten. Das dauert dann schon so ein klitzekleines bisschen. Hältst du das aus?«
Nick schluckte. Jen beobachtete ihn.
»Ja. Ich pack das.«
»Wunderbar. Dann haben wir ja alles geklärt. So, ich glaub‘, wir gehen dann besser rein, bevor die guten Plätze alle weg sind. Ihr zwei hört jetzt auf so ein beschissenes Gesicht zu ziehen und wir haben alle Spahaß!« Jen klatschte in die Hände und zog die Freunde mit sich. »Keine Müdigkeit vorschützen, Jungs! Auf, auf!«

***

Leo schnippte den Stummel ihrer Gauloises weg und lächelte.
»Schön, dich zu sehen. Hast du endlich alles, was ich wollte?« Sie hob den Kopf, um ihrem Gegenüber in die Augen schauen zu können.
»At least. Es war schwieriger, als gedacht. Der Kerl ist ein Mysterium. Aber ich steh‘ ja auf so was. Zu deinem Glück, Kleines. Aber mit diesen Informationen hast du ihn komplett in der Hand.« Ihr Gegenüber zündete sich eine Zigarette an, während Leo den Umschlag, den er ihr gereicht hatte, fest umklammert hielt. »Was hast du jetzt eigentlich vor? Mit all dem Wissen kannst du ihn jahrelang hinter Gitter bringen.«
»Oh, das wird nur der angenehme Nebeneffekt sein. Ich werde ihn erst einmal leiden lassen. Seine Pläne nach und nach zerstören, seine Intrigen nach und nach aufdecken und wenn die Zeit gekommen ist und er am Boden liegt, dann werde ich ihn an die Polizei verraten.«
»Erinner mich dran, dass ich mich niemals mit dir anlegen werde. Scheiß die Wand an, du redest hier über den Untergang eines Menschens, als würdest du über’s Wetter reden.«
Leo lächelte. Die Angst, die sie in seinen Augen lesen konnte, war echt. Aber ich war noch nie jemand, den man unterschätzen sollte. Wie gut, dass er sich daran wieder erinnert.
»Wie sieht es mit meiner Belohnung aus?«
»Keine Angst. Wenn alles so funktioniert hat, wie ich mir das vorstelle, sollte dir das doch eigentlich Belohnung genug sein. Aber ich weiß, worauf du hinaus willst. Es ist alles vorbereitet, die Schlüssel zur »Hütte« hast du ja noch, nehm ich an. Es wird dich dort keiner stören oder vermuten. Du hast dort also deine Ruhe und kannst tun und lassen, was du willst.«
»Die Firma dankt. Und falls du wieder so ein kleines Rätsel hast, das gelöst werden will …«
»Melde ich mich bei dir.« Leo neigte den Kopf zum Abschied und drehte sich auf dem Absatz um. Sie hatte bekommen, was sie wollte. Nichts würde sie jetzt noch aufhalten können. Nicht, so lange sie sowohl Ben wie auch ihren Informanten in der Hand hatte.

Jen lächelte die beiden Freundinnen an, die mit ihr im Garten von Leos Häuschen saßen.
»Schön, dass du kommen konntest, Nina. Ich find, so ein Mädelsabend war schon lange überfällig.« Jen goss Wein in die Gläser und reichte Charlie und Nina jeweils eines.
»Wo ist denn Leo?«, wollte Nina wissen.
Jen bemerkte den misstrauischen Ausdruck in ihren Augen. Ah, vermutlich weiß sie, dass ich sie unter einem Vorwand hergelockt habe. Aber ich lass sie noch ein bisschen zappeln.
»Die kommt später. Wollte noch irgendwas Superheimliches, Supercreepiges erledigen. Ihr kennt sie ja. Die alte Geheimniskrämerin. Soll uns aber nicht dran hindern, gemütlich zusammen zu sitzen und über Männer und co zu lästern.«
»Über Männer lästern? Was willst du uns damit sagen? Hast du dich jetzt doch für Tim entschieden?« Charlie beugte sich neugierig nach vorne.
Warum war mir das klar? Aber gut, dann tun wir mal so als ob, um Antworten zu bekommen.
»Ja. Nein. Ach, ich weiß auch nicht.« Jen senkte den Blick, von sich selbst angewidert.
»Wie? Das musste jetzt schon genauer erläutern.« Nina lehnte sich zurück, schwenkte das Weinglas und schien froh zu sein, dass nicht sie Mittelpunkt der Unterhaltung war.
»Ach, es ist komisch. Er ist komisch. Er ist wie so ein kleines Hündchen. Bettelt ständig nach Aufmerksamkeit und kennt seine Grenzen nicht. Ungefähr so wie Leos Hund, nur nicht so süß.«
»Und trotzdem hast du mit ihm geschlafen. Du warst doch mit ihm im Bett, nicht wahr?«
Jen knirschte mit den Zähnen. Nur mühsam schaffte sie es den Impuls zu unterdrücken, Nina die Weinflasche nicht an den Kopf zu werfen.
»Machen wir nicht alle hin und wieder etwas Dummes?«, murmelte Charlie.
Ha! Perfektes Stichwort!
»Eben. Ich mein, sei mal ehrlich, Nina. Hast du nicht auch mal was total Doofes angestellt? Oder erlebt? Oder irgendwas gemacht, wofür du dich schämen musst oder solltest oder dich zumindest gefühlt hast, als müsstest du es?«
»Nein.«
Wusa! Reibe die Wut weg! Ganz ruhig!
»Nina, ernsthaft, wem willst du denn hier weismachen, dass du dir niemals was Peinliches geleistet hast?« Charlie schnaubte.
Uuuh, jetzt wird’s interessant. Ich glaub, Dan hat sich bei Charlie auch schon Luft gemacht. Tja, Nina, das war wohl nichts.
»Was willst du damit sagen?«
»Dass du nicht so unschuldig bist, wie du tust! Ist dir eigentlich bewusst, wie sehr du die Menschen in deinem Umfeld verletzt? Menschen, die nichts dafür können, dass deine psychopathische Schwester dir das angetan hat?«
Jen lehnte sich zurück. Ich wusste ja, dass Dan und Charlie gut befreundet sind. Ich hätte aber nicht gedacht, dass sie so gut miteinander befreundet sind. Scheint so, als müsste ich gar nicht die Böse spielen und Nina den Arsch aufreißen. Charlie erledigt das schon für mich.
»Redest du etwa von Dan?«
»Natürlich rede ich von Dan! Du behandelst ihn wie Dreck! Seit Tagen sprichst du nicht mit ihm. Seit Tagen weichst du ihm aus. Seit Tagen lässt du ihn für etwas büßen, was er nicht getan hat! Wie kannst du so etwas machen? Ich dachte, du liebst ihn? Ich dachte, du meinst es ernst mit ihm! Stattdessen behandelst du ihn, als wäre er Fatima. Als wäre er an allem schuld! Schon mal dran gedacht, dass er dir sogar helfen würde, den ganzen Scheiß zu vergessen und zu verarbeiten. Und was machst du? Du stößt ihn immer weiter von dir weg! Er ist nicht Fatima! Er hat dir nichts getan! Er will doch nur für dich da sein!«
»Was mischt du dich da eigentlich ein? Was willst du eigentlich von mir? Warum greifst du mich jetzt so an? Gerade du müsstest genau so sauer auf ihn sein, wie ich!«
Jen runzelte die Stirn. Jetzt wird’s interessant.
»Und warum sollte sie, wenn ich fragen darf?«, wandte sich Jen an Nina. Ich bin gespannt, was sie jetzt sagt.
»Weil das alles nur wegen Dan passiert ist!« Nina stellte ihr Glas so heftig auf den Tisch, das es zerbrach.
Woah! Wie ist denn die drauf?
»Als ob er was dafür kann! Er hat sich das sicher nicht ausgesucht, dass deine Stiefschwester sich in ihn verliebt hat und ihr dabei mehr als nur eine Sicherung durchgebrannt ist! Findest du nicht auch, dass du reichlich unfair ihm gegenüber bist?«
»Wieso unfair? Er ist doch wirklich an allem schuld! Es ist alles seine Schuld! Nur seine!« Nina war aufgesprungen. Ihr Stuhl war nach hinten gekippt, der Wein auf den Glasscherben schimmerte wie frisch vergossenes Blut.
»Nina, ich glaube nicht, dass Dan beabsichtigt hatte, dass sich Fatima in ihn verliebt und dann so durchknallt! Also das solltest sogar du begreifen!«
»Ja, Charlie? Wirklich? So, wie du begriffen hast, dass Nick nichts, aber auch gar nichts für dich empfindet? Du rennst ihm hinterher wie eine läufige Hündin!«
Na, da ist aber wer nicht auf dem neusten Stand!
»Jetzt mach mal halblang, Nina. Charlie hat Recht. Du behandelst Dan wie Dreck. Und er kann wirklich nichts dafür. Wenn du so weiter machst, verlierst du ihn – ist es das, was du willst?« Jen schüttelte den Kopf. »Setz dich wieder. Keiner will dir hier was unterstellen oder dir irgendwas vorwerfen, wir machen uns halt nur beide Sorgen um Dan. Immerhin ist er unser Freund. Und falls du dich erinnerst, Fatima kann dir nichts mehr anhaben.«
Möglichst unauffällig versuchte sie Leo eine SMS zu schicken:
Komm her! Die Kacke dampfelt gar sehr! Hier fließt gleich Blut!
Jen musterte Nina, in deren Augen etwas funkelte, was sie beunruhigte.
»Woher wollt ihr das wissen? Sie ist verschwunden!«
»Also eigentlich«, Jen rieb sich nervös den Nacken, »Sitzt deine Stiefschwester bei uns im Keller.«
»St-st-stimmt das?«, stotterte Nina fassungslos. Charlie und Jen nickten.
»Ja. Die sitzt unten im Keller. Charlie und ich zeigen sie dir gern, damit du dich vergewissern kannst, dass sie dir wirklich nichts mehr tun kann.« Jen deutete zum Haus und wollte gerade aufstehen, als sie sah, wie Nina rückwärts von ihnen wegstolperte, aschfahl und zitternd.
Oha, das kam wohl nicht so gut an.
Mit einem leisen Keuchen drehte sich Nina um und rannte vom Grundstück.
»Meinst du, sie verrät uns an die Polizei?« Charlie klang seltsam nüchtern. Jen runzelte die Stirn. Was hat denn das schon wieder zu bedeuten?
»Nö, ich glaub nicht. Aber sie wird ihre Zeit brauchen, um das zu verarbeiten.«
»Hoffen wir es mal.«
So, und wie soll ich sie jetzt auf Nick ansprechen?