Dienstag, 26. März 2013
Montag, 25. März 2013
Freitag, 22. März 2013
Der Fall Ödipus
Prolog
Der
Geruch von Metall lag in der Luft, als Fus den unterirdischen Raum betrat. Er
hatte das Gefühl im Blutgeruch zu ertrinken und hätte sich beinahe übergeben.
Er hielt den Atem an, tastete nach dem Lichtschalter und verzog unwillig das
Gesicht, als das Licht flackernd anging. Nur schwach wurde der Raum beleuchtet.
»Na,
das ist doch fast wie aus einem Horrorfilm.« Die Stimme seines Partners brach
misstönend von den Wänden. Fus ließ den Blick durch das Zimmer wandern.
»Wer
immer das getan hat, war ziemlich skrupellos.« Er trat vorsichtig an die Leiche
des jungen Mannes. »Obwohl ... wenn ich mir den hier so anschau ... er hat sich
das wohl selbst angetan. Das Messer hat er ja noch in der Hand. Und wenn mich
nicht alles täuscht, sind das hier seine Augäpfel.«
Fus
ging in die Knie und betrachtete die Leiche genauer. Getrocknete Blutspuren
zogen sich über die fahlen Wangen des jungen Mannes, die zerstörten Augäpfel
schienen Fus blicklos anzustarren. Die Fingernägel waren eingerissen,
verkrustetes Blut hatte seine Spuren hinterlassen.
»Was
ist nur mit dir passiert?«, murmelte er.
Ein
leises Knarzen erregte seine Aufmerksamkeit und er hob den Blick. Sanft
schaukelte die Leiche einer Frau an einem Seil von der Decke.
»Das
ist dann wohl die Mutter.« Fus schluckte.
»Und
das hier der Vater. Scheint, als hätten wir die vermisste Familie gefunden.«
Sein Partner deutete auf eine zusammengesunkene Gestalt in einer Ecke.
»Was
ist hier nur passiert?« Fus schüttelte ratlos den Kopf. Die Mutter erhängt, der
Vater offensichtlich zu Tode geprügelt, der Sohn mit herausgeschnittenen Augen
– so etwas hatte er noch nie gesehen. »Ob das hier alles geplant war? Und wenn
ja, warum? Wer ist so krank, einer Familie das anzutun?«
Montag, 18. März 2013
Auszug aus Café Diary 9
Tag 57
Dans Kopf ruhte auf
Leos, die gegen seine Schulter gesunken war. Jen beanspruchte zwei Sitze für
sich, indem sie sich der Länge nach ausgestreckt hatte. Die Kopfhörer in den
Ohren verhinderten, dass sie von den Gesprächen im Abteil etwas mitbekam. Leo
gähnte, als der Zug anhielt, und blinzelte gegen das Licht.
»Bäh! Kann mal jemand
das Licht aus und die verfickten Türen zu machen?«, nuschelte sie verschlafen –
und eindeutig grantig.
»Guten Morgen, Leo.
Guten Morgen, Dan. Und einen wunderschönen guten Morgen, Jen.«
Leo stöhnte
unüberhörbar, als sie Olivers Stimme vernahm. Dan rührte sich nicht, Jen hatte
offensichtlich nichts mitbekommen.
»Oliver, wie du siehst,
schlafen wir alle mehr oder weniger. Wie wär’s? Du setzt dich einfach
irgendwohin und lässt uns einfach in Ruhe. Sonst kann es sein, dass ich dir
irgendwann die Zunge rausreiße.«
Leo lächelte, als
Oliver zurückzuckte und sich schnell auf einen entfernten Platz fallen ließ.
Sie gähnte herzhaft, schloss die Augen und döste weiter.
»Also, ich finde es
unmöglich so früh aufzustehen und dann noch Zug zu fahren. Wie seht ihr das?«
Leo öffnete langsam die
Augen, entzog Dan ihren Kopf als Stütze und wandte sich Oliver zu, der sich
über den Gang gebeugt hatte. Alter! Halt
doch einfach mal die Schnauze!
»Ich mein, es ist ja
noch dunkel. Das geht doch nicht!«
Ein lautes Gähnen war
die Antwort auf Olivers Aussage. Jen hatte die Kopfhörer abgenommen, sich
aufgesetzt und blinzelte verschlafen.
»Da hast du vollkommen
Recht. Es ist zu früh und es ist dunkel. Wenn es dunkel ist, denkt mein Körper
immer, er muss schlafen.«
Oh
Gott, nein! Geht das Geflirte wieder los? Es möge mich einer erschlagen!
Dan grunzte etwas. Leo
neigte den Kopf, sah zu ihm hinüber und verkniff sich ein Lachen. Er hatte die
Augen leicht geöffnet, ein spöttisches Funkeln in den Augen. Ihre Blicke
begegneten sich. Sie verstanden sich auch ohne Worte, wie Leo amüsiert
feststellte. Auch Dan schien den Flirt zwischen Jen und Oliver nicht gerade mit
Begeisterung aufzunehmen. Is‘ ja auch ‘ne
ziemlich eklige Angelegenheit, wenn man mich fragt.
»So geht’s meinem
Körper auch! Wie packt ihr das nur? Ich mein, ich seh‘ euch heute zum ersten
Mal im Zug schlafen. Sonst seid ihr immer so topfit.« Oliver rutschte auf den
freien Platz neben Jen. Leo verzog angewidert das Gesicht.
»Das Zauberwort heißt
Kaffee.« Leo gähnte herzhaft. »Dan, sag mal, hast du den Text über Barthes
gelesen? Der Tod des Autors – schwachsinniges Gelaber. Ich mein, ohne Autor
gibt es keinen Text. Warum also plädiert Barthes, dass der Autor tot sei?«
Ein Grinsen huschte
über Dans Gesicht.
Ja, er durchschaut
mich, feixte Leo.
»Also, ich find, man
sollte den Text vom Autor immer trennen. Klar, ohne den, der das Ding schreibt,
gibt’s keinen Text, aber dennoch sollte man beides trennen. Da muss ich Barthes
zustimmen.«
»Ey, sag mal, was zur
Hölle ist bei euch denn los? Seit wann redet ihr freiwillig über den
NDL-Scheiß?« Jen starrte ihre beiden Freunde verblüfft, fragend an.
»Na, Bildung ist doch
wichtig«, wiederholte Leo die Worte Dans. Und es hält diesen Spacko davon ab,
mir auf die Nerven zu gehen. Sie sah, wie Oliver seine PSP rauszog und sich
komplett auf das Spiel konzentrierte. Vorsichtshalber beschloss sie, dennoch
weiter über NDL zu reden. Sicher ist
sicher.
***
»Hey, musstet ihr so
unfreundlich zu dem armen Oliver sein? Das war voll fies! Einfach so über …«
»Einfach so über die
Uni zu reden, meinst du? Oh ja, wir sind ja so gemein«, unterbrach Leo ihre
Freundin, drängte sich an einigen Studenten vorbei und rief über die Schulter: »Ich
hol uns mal einen Kaffee. Sucht ihr schon mal Plätze und den Scheiß.«
Sie trommelte
ungeduldig auf der glatten Theke, während sie dem Kaffee zusah, wie er in den
Becher floss. Mach schon! Schneller!
»Hallo, Leonora.«
»Quinn?« Leo fuhr
herum, sah direkt in diese smaragdgrünen Augen. Wenn er sich jetzt nur ein
klitzekleines bisschen bewegt, berühren sich unsere Nasenspitzen!
Sie schaffte es nicht,
ihren Blick von seinen Lippen zu nehmen. Sie konnte es einfach nicht.
»Dein Kaffee wird
kalt.« Quinn streckte den Arm aus, ergriff beide Becher und reichte sie mit
einem verschmitzten Lächeln an Leo weiter.
»D-d-danke.« Leo, reiß dich zusammen!
»Darf ich fragen, was
dich um diese unchristliche Zeit hierher treibt?« Er hielt ihr ritterlich die
Tür auf und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Erneut ermahnte sie
sich, ruhig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. »Literatur. Neue,
deutsche Literatur. Sachen wie Ödipus und Antigone. Neu und deutsch halt.«
Na
bravo, Leo! Jetzt haste mal unglaublich intelligent gewirkt! Respekt! Er ist
sicher tierisch beeindruckt!
»Ah, ich versteh‘
schon. Neunzig Minuten pure Langeweile.« Sein Lachen war wie Musik in ihren
Ohren.
Oh
Gott! Ich bin doch wohl nicht verliebt?!
»Warum bist du denn
eigentlich hier? Ich mein, bist du nicht damals nach Tuttlingen gefahren? Was
willst du denn hier? Studierst du etwa hier?« Yeah, Leo. Wieder mal eine Glanzleistung deiner kognitiven Fähigkeiten.
Sehr gut!
»Ja. Anglistik und
Germanistik. Allerdings habe ich mit Germanistik noch nicht angefangen – ich
hab‘ von Jura gewechselt, weißt du.«
Will
mich hier jemand verarschen? Der Kerl hat Jura studiert?
»Und ich kann dir
versichern, dass jedes Literaturseminar, egal in welcher Sprache, tierisch
langweilig ist.« Quinn schenkte ihr ein Lächeln, bevor ein Ausdruck von
Bedauern über sein Gesicht huschte. »Leider sind wir wohl schon da. So wie es
aussieht, wirst du sogar schon erwartet. Nun dann … wir sehen uns. Und lass
dich nicht zu sehr langweilen.«
Mit einem, sogar für
ihren Geschmack sehr dümmlichen Grinsen, betrat sie den Seminarraum und setzte
sich zu ihren Freunden. Sie fing den amüsierten Blick Jen’s auf und streckte
ihr die Zunge raus.
»Wag‘ es ja nicht,
jetzt ‘nen dummen Spruch rauszuhauen!«
»Och, Leo!
Spielverderberin!« Jen grinste von einem Ohr zum anderen.
***
Als sich Nick das
vierte Mal innerhalb der ersten dreißig Minuten meldete, sahen sich Dan und Jen
verwundert an.
»Was is’n mit dem
los?«, murmelte Jen.
»Schlechter Drogentrip.
Guter Sex. Vielleicht endlich mal wieder ein gutes Konzert gegeben.« Leo sah
nicht einmal auf. Ihr Blick war wieder einmal auf das Display ihres Kindles
gerichtet.
Charlie saß schweigend
neben ihren Freunden und wich Nicks Blick aus. Jen stieß Dan mit dem Ellenbogen
an und deutete auf die Freundin.
»Was hat die denn? Was
is’n mit den beiden los? Weißt du was?«
»Nö. Ich hab‘ keine
Ahnung, was da los ist. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, noch in den Kopf
anderer.«
»Und was hast du für
ein Problem? Was bist du denn so zickig?«, wollte Jen von Dan wissen. Sie sah,
wie sein Blick zu Nina huschte, die auf einem Platz weit weg von ihnen saß.
»Ouh, ihr habt das also
immer noch nicht geklärt, oder? Scheiße, Alter. Das wird schon! Lass den Kopf
nicht hängen!«
»Ne, das wird eben
nicht mehr wieder. Ich weiß, was ich zu tun hab … aber es fällt mir so schwer.«
Redet
der grad wirklich mit MIR über seine Beziehungsprobleme? Krasser Scheiß!
»Und was hast du vor?«
Jen’s Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
»Ich werde sie gehen
lassen. Ich kann nicht an einer Beziehung festhalten, in der meine Partnerin
unglücklich ist. Es ist wahrscheinlich sowieso besser so. Meine Mutter sagt
immer, keine Frau wird mich jemals so lieben wie sie mich.«
Äh,
was?
Jen spürte, wie ihr der Mund offen stand und bemühte sich um Fassung. Heilige Scheiße!
Nick warf Charlie immer
wieder einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Er hatte sich gut auf das heutige
Seminar vorbeireitet. Er wollte sie beeindrucken. Er wollte ihr gefallen. Nick
wusste, dass er in Charlies Augen nicht unbedingt als die hellste Kerze auf dem
Kuchen galt – dennoch musste er etwas an sich haben, was ihr gefiel. Was auch
den meisten Frauen gefiel. Ein verächtliches Schnauben entwich ihm. Er brauchte
sich nichts vormachen, er wusste, dass er gut aussah und dass er als Leadsänger
jede Frau haben konnte. Aber er wollte, dass jemand hinter diese Fassade sah
und erkannte, wer er wirklich war. Er hoffte, dass Charlie das in ihm sehen
würde. Das Gute. Das, was hinter seiner Fassade des gutaussehenden Musikers
lag.
Aus diesem Grund wollte
er ihr heute beweisen, dass er durchaus klug war.
Erneut hob er die Hand,
um sich zu melden und die Frage der Professorin zu beantworten.
***
»Nina?« Dans Herz
schlug wild. Er hatte das Gefühl, es müsse ihm jeden Moment aus der Brust
springen. Bitte, lass sie mich hören!
Lass sie stehen bleiben! Damit ich es hinter mich bringen kann!
»Was?« In diesem Wort
steckte so viel Gereiztheit, dass Dan unwillkürlich zurückzuckte. »Was willst
du, Dan?«
Er schluckte. Sammelte
sich. Ordnete seine Gedanken. »Ich gebe dich frei«, quetschte er letzten Endes
heraus. Er vertraute seiner Stimme nicht, weswegen er froh war, dass die
wenigen Worte heraus waren, bevor seine Stimme brach und Nina merken konnte,
wie sehr er litt.
»Was?«
Er zuckte zusammen, als
er die merklich schrillere Tonlage hörte.
»Ich gebe dich frei.
Ich beende die Beziehung. Damit du wieder zur Ruhe kommst.« Dan ballte die
Hände zu Fäusten, um zu verhindern, dass sie zitterten. Sein Blick wanderte
über Nina, er wollte sich ihren Anblick tief ins Gedächtnis brennen, bevor er
an ihr vorbei ging und nicht zurück sah. Sein Herz blutete, aber er wusste, nur
so konnte er Nina den nötigen Freiraum geben, um das Erlebte zu verarbeiten.
Leo saß auf der Heizung
vor dem Seminarraum und wartete auf Dan. Sie hatte das Gespräch zwischen ihm
und Jen belauscht und hatte sich fast gedacht, welchen Schritt er gehen würde.
Als sie ihn mit hängenden Schultern aus dem Raum trat, sprang sie auf und ging
vorsichtig zu ihm hinüber.
»Dan?« Sie legte ihm
eine Hand auf den Arm. »Alles okay soweit?«
Dan nickte. Doch sie
konnte sehen, dass er litt. Sein Blick war leer, seltsam gebrochen.
»Vielleicht ist es
besser so. Vielleicht kommt sie wieder auf dich zu. Aber wenn nicht, dann wirst
du jemanden finden, der dir nicht unbedingt die Schuld an den psychopathischen
Verwandten zu geben.« Leo stieß ihn leicht an. »Das hast du nicht verdient, das
brauchst du dir nicht geben.«
»Aber ich liebe sie!«
Dans Stimme klang gepresst. Leo presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte
sie Nina eine reingehauen, aber das würd keinem helfen.
»Dass du sie liebst,
hilft dir auch nicht weiter. Außer du stehst drauf, wenn dir immer und immer
wieder das Herz gebrochen wird.«
Sie konnte den Kampf in
seinem Innersten nahezu spüren.
»Digger, nimm dir heute
frei. Geh nach Hause. Geh in den Park. Geh in den Pub. Wenn du magst, komm ich
mit. Wir trinken. Wir lästern. Wir ärgern irgendwelche Naturwissenschaftler.
Hauptsache du hast Ablenkung.«
Dan wandte den Kopf,
ihre Blicke begegneten sich.
»Ne, lass mal. Ich …
ich kann das nicht.«
»Verstehe.« Leo zog
sich unauffällig zurück. »Aber wenn du wen zum Reden brauchst, meld dich, ja?«
Sie drückte seinen Arm, bevor sie zu Jen hinaus trat, um eine zu rauchen.
***
Nina zitterte. War das
gerade eben wirklich geschehen? Hatte Dan sie wirklich verlassen? Die
Zigarettenschachtel fiel ihr aus der Hand, als sie versuchte, sich eine Kippe
anzuzünden. Er hat mich also wirklich verlassen. Er hat genau das getan, was
Charlie und Jen ihr prophezeit hatten. Hin und hergerissen zwischen
Erleichterung und dem Gefühl, dass ihr eben das Herz herausgerissen worden war,
stand sie da und wusste einfach nicht, was sie als nächstes tun sollte. Er hat mich wirklich verlassen. Er hat
aufgehört mich zu lieben.
Tränen quollen unter
schweren Lidern hervor. Nina wischte sich schniefend über die Augen und machte
sich auf den Heimweg. Sie wollte jetzt nur noch allein sein. Mit ihren
Gedanken. Mit ihren Sorgen. Mit sich selbst.
Mark rieb sich das
Kinn. Wenn er richtig schlussfolgerte, dann war Nina die nächste Kandidatin,
die er auf seine Seite ziehen konnte. Charlie war ein leichtes Ziel aufgrund
der unerwiderten Liebe zu diesem Sänger. Dieses Mädchen hier war das ideale
nächste Ziel, um näher an Leo heranzukommen. Wenn ihre Freundinnen auf seiner
Seite stehen – wie könnte sie sich dann noch quer stellen?
Nur
wen setz ich auf sie an? Patrick ist an Charlie dran und
Quinn versucht es bei Leonora … aber vielleicht sollte er sich lieber um diese
junge Dame kümmern. Dann wäre er auch nicht länger ein Konkurrent um sie. Er
wäre aus dem Verkehr gezogen.
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