Tag 15
Leo runzelte die Stirn,
als sie Nick am Kaffeeautomaten sah. Verschlafen stolperte sie zu ihm hinüber,
benommen den verstreuten Stühlen in der Brecht -Cafeteria ausweichend. Den Weg
zur Uni — und nach Tübingen — hatte sie nicht wirklich wahrgenommen. Auch die
Begegnung mit Oliver war ihr nur undeutlich in Erinnerung, obwohl sie nicht
lang her war.
Mit hängenden Schultern
und verquollenen Augen stand sie schließlich neben Nick und versuchte, ein
Lächeln zustande zubringen.
»Grundgütiger! Wie
siehst du denn aus, Leo? Hast du vergessen dich zu schminken?« Nick starrte sie
erstaunt an.
»Nein, ich hab nur
wenig geschlafen. Also richtig wenig geschlafen. Und ich seh ohne die Schichten
von Schminke wesentlich schlimmer aus. Aber danke, dass du mich darauf
hinweist.« Sie gähnte und lehnte sich an ihn.
»Hey, jetzt aber nicht
einschlafen!« Nick trat einen Schritt zur Seite. Leo konnte sich gerade noch
fangen, ohne auf dem Boden zu landen.
»Alter!«, sie funkelte
ihn wütend an.
Nick lachte.
»Leo, ehrlich, also,
das sieht echt lächerlich aus. Mit deinen verquollenen Augen kommt dieses »ich
werfe dir einen tödlichen Blick zu«- Ding nich‘ gut rüber. Sorry, Kleines.«
Er ging an ihr vorbei
und klopfte ihr dabei auf die Schulter. Leo blickte ihm einen Moment hinterher,
bevor sie sich mit einem resignierten Seufzer an die Kaffeemaschine stellte.
Wahllos drückte sie den erstbesten Knopf und lehnte sich an die Wand. Mit geschlossenen
Augen wartete sie ab.
Der Duft von Kaffee,
der die Luft erfüllte, und die plötzliche Stille verrieten ihr, dass ihr Becher
voll war. Sie linste hinein, um zu erkennen, was sie da eigentlich zu trinken
gedachte, gab aber bald auf.
Verdammt!
Ich hätt heut echt daheim bleiben sollen!
Leo konzentrierte sich
darauf, den Becher nicht fallen zu lassen und lief prompt in jemanden hinein.
Mit einem Platschen ergoss sich der Inhalt auf den Fliesen, spritzte an ihr
hoch und sie verzog angewidert das Gesicht.
»Leo, pass halt mal
auf! Jetzt hab ich Kaffee auf meiner Jeans!« Nick fluchte unverhohlen.
»Sorry, Digger. Aber du
standst halt so geschickt und alles an dir hat nach einer Kaffeedusche
geschrien … da konnte ich nicht widerstehen! Aber warum lungerst du eigentlich
so deppert VOR dem Seminarraum herum? Wolltest du dir Zeit nehmen, um wieder
einen spektakulären Auftritt zu planen?« Sie tupfte die Kaffeeflecken mit einem
Taschentuch vorsichtig ab.
»Der Raum ist
abgeschlossen. Kein Grund zickig zu werden!«
»Hey, wegen dir hab ich
jetzt nichts mehr, was mich wach hält!« Leo stemmte die Hände in die Hüften.
»Ich kann dich ja munter
halten, indem ich mich neben dich setz und dich alle zehn Sekunden in die
Seiten stups.«
Leo streckte ihm die
Zunge heraus und setzte sich müde auf einen Tisch an der Wand. Sie lehnte den
Kopf dagegen und schloss die Augen. Als Nick wirklich anfing, sie zu stupsen,
grummelte sie, wehrte sich aber nicht.
»Ben ist gar nicht so
schlimm, wie du immer behauptest, Dan. Er ist echt nett. Richtig nett. Und er
mag dich. Und Charly. Und Nick. Ich versteh nicht, warum du immer so gegen ihn
hetzt. Nur weil die heilige Leo ihn nicht mag? Schon mal dran gedacht, dass SIE
die Böse in dieser ganzen Misere ist? Dass nicht Ben, sondern Leo die Wurzel
allen Übels ist?« Jen griff nach Dans Arm und rüttelte daran.
»Jen, das ist doch
kompletter Unsinn. Leo versucht doch nur dich zu beschützen. Sie kennt Ben
besser als du — es ist doch offensichtlich, dass da was im Busch ist. Du hast
dich ja auch nie um Leos Version bemüht, sondern dich nur auf seine Geschichte
gestützt. Und die kann durchaus von der Wahrheit abweichen! Warum sollte sie
dir denn dein Glück mit diesem Idioten neiden? Und falls es dich beruhigt, ich
hab Ben schon nicht gemocht, bevor du mit ihm rumgeknutscht hast. Ich hab den Kerl
um Leos Haus rumschleichen sehen — das hat er sicher nicht aus Nettigkeit
gemacht! Denk doch mal logisch! Warum schleicht er immer hier an der Uni rum?
Warum fragt er dich immer mal wieder nach Leo? Wach doch endlich mal auf!«, er
sah ihr eindringlich in die Augen. Er erkannte Zweifel in ihrem Blick und sah,
wie sie über seine Worte nachzudenken schien. Dan verkniff sich ein
triumphierendes, aber auch erleichtertes Lächeln. Jen lief schweigend weiter,
während sich Dan nach Charly umsah. Er musste ihr unbedingt von seinen
Fortschritten erzählen.
»Dan? Kommst du? Wir
haben gleich lustig Literatur. Das willst du doch nicht verpassen, oder?« Jen
war stehen geblieben und schien auf ihn zu warten. Da von Charly nichts zu
sehen war, eilte er ihr nach — hauptsächlich um nicht zu spät zu kommen.
***
»Leoohooo. Leeeeoooo.«
Nick säuselte der jungen Frau neben ihm leise ins Ohr. Leo zuckte.
»Digger, deine Stimme
erinnert mich an diesen Kindersingsang aus den Horrorfilmen. Muss das sein?«,
murmelte sie und öffnete langsam ihre Augen. Nick kicherte.
»Aber du bist wach. Und
ich hab dir versprochen, dich zu wecken und wachzuhalten.«
»Yey. Hurra. Super.«
Leo stützte den Kopf auf die Hände und seufzte.
»Okay, weil du’s bist,
hör ich mit singen auf. Aber dann lass uns bisschen quatschen. Die Gute«, er
deutete auf ihre Professorin, die stirnrunzelnd dem Referat lauschte, »ist eh
beschäftigt mit den Weibern da vorne beim Lauschen, wie sie was von »Ödibus«
erzählen. Die katholische Studentenfraktion verunglimpft eines der
bedeutendsten Dramen und ich möchte, ehrlich gesagt, nicht zu genau zuhören,
denn die Götter meiner Vorfahren könnten mich sonst dazu verleiten anzugreifen
und diese Katholiken da vorne für ihre Frevel zu bestrafen.«
»Du laberst manchmal
einen Müll! Allerdings hast du bei den Weibern da vorne an der Tafel komplett recht.
Is‘ schon übel, was die da verzapfen. Naja. Über was willst du denn reden?« Leo
setzte sich etwas aufrechter hin und lächelte müde.
»Was hat es mit Ben auf
sich?«
»Nein, bloß keine Zeit
verlieren, ne? Was habt ihr alle mit Ben?«
»Also?«
»Lass uns bitte über
etwas anderes reden. Ben ist kein Thema, über das ich gerne spreche. Oder
überhaupt spreche.«
»Na, dann … was gibt es
Neues? Hast du dich in letzter Zeit mal wieder als alt bezeichnen lassen?« Leo
konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel, ihren Wunsch, nicht über Ben zu
sprechen, zu respektieren — aber das war ihr egal.
»Meinst du diesen
Vollpfosten, der mich im Tutorium angesprochen hat?«
»Aye«, bestätigte Nick.
»Hm, also … nein,
direkt nicht. Aber er hat mir auf Facebook geschrieben, dass er sich wirklich
gern mit mir treffen würd, aber nur, wenn es an einem Ort ist, an dem ihn
keiner mit mir sehen kann. Er meinte auch, ich könnt ihn ja besuchen und bei
ihm und mit ihm Spaß haben … also, da wusst ich echt nicht, was ich sagen
sollt. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Und ich bin viel
rumgekommen.«
Nick lachte leise.
»Wieso lässt du dich
nicht drauf ein? Man ist nur einmal jung und, ohne dir zu nahe zu treten, du
bist es nicht mehr lang. Ich an deiner Stelle hätt‘ nicht gezögert, den Kerl
flach zulegen.«
Leo starrte Nick einen
Augenblick fassungslos an, dann steckte sie sich die Faust in den Mund, um
nicht in lautes Lachen auszubrechen. Als sie seinen verständnislosen Blick
bemerkte, kamen ihr Tränen vor lauter Lachen.
»Sorry, ich hab mir
grad vorgestellt, wie du und … nein, das war einfach zu lustig!«
Sie fing den strafenden
Blick ihrer Professorin auf und senkte den Kopf.
»Du weißt schon, die
Katholiken- Fraktion wird dich bluten lassen, wenn du dein Referat hältst.«
»Wurscht.« Leo und Nick
grinsten und versuchten sich auf den Unterricht zu konzentrieren.
Jen stach mit ihrem
Bleistift auf ihr Dramenanalyse- Buch ein, in Gedanken ganz wo anders. Was Dan
über Ben gesagt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwo steckte ein
Körnchen Wahrheit in diesem ganzen Chaos und sie würde es finden. Was, wenn er wirklich recht hat und Ben mich
nur ausnutzt? Wenn Ben wirklich nur hinter Leo her ist und ich nur ein Mittel
zum Zweck bin — oder so? Es ist schon verdächtig, dass er immer hier an der Uni
rumstromert und mich nie zuhause besuchen wollte. Und wenn es stimmt, was Dan
erzählt hat und Ben wirklich um Leos Haus rumgeschlichen ist, dann … sollte ich
mich wohl bei ihr entschuldigen. Jen knabberte an ihrer Unterlippe und
massakrierte weiterhin ihr Buch.
»Jen?« Charly hatte
sich zu ihr gebeugt.
»Ja?«
Sie spürte, wie jemand
vorsichtig ihre Finger um den Bleistift lösten und sie sah auf, ihr Blick
klärte sich. Sie bemerkte den besorgten Gesichtsausdruck Charlys, als diese den
Stift zur Seite legte.
»Was ist los? Bedrückt
dich irgendwas? Hast du Sorgen? Möchtest du mit mir darüber reden?«
Jen seufzte bei Charlys
Worten.
»Naja, also … ja,
nein…ich weiß nicht«, sie schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf. Jen
hatte sich schon lange nicht mehr so hilflos gefühlt. Sie wusste nicht, was sie
machen sollte. Was sie denken sollte. Was sie noch glauben durfte.
»Dan hat mit dir
gesprochen, richtig?«
»Woher weißt du das?«
Jen unterdrückte bei Charlys Worten das Bedürfnis sich selbst zu umarmen. Noch
vor zwei Tagen hatte sie Leo für alles verantwortlich gemacht, aber, wenn sie
ehrlich war, hatte sie sich ihre Isolation selbst zuzuschreiben. Und die Worte
Dans hatten es ihr verdeutlicht, wie falsch sie lag. Oder liegen könnte.
»Nun, wir haben uns
beide Sorgen gemacht. Allerdings hatte ich gehofft, ich könnte mir dir sprechen
… Dan ist ja nicht immer sonderlich, nun, rücksichtsvoll. Du bist ihm doch
nicht böse, oder?«
»Nein, er hat ja
irgendwo recht. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass Ben wirklich so sein
sollte, wie Dan, du und Leo mir weismachen wolltet. Auch wenn das, was Dan
gesagt hat, ziemlich plausibel ist …«, sie brach ab und schluckte.
»Möchtest du es einfach
nicht wahrhaben? Wir könnten ja versuchen, ihn zu entlarven. Verstehst du? Wenn
er wirklich was verheimlicht, dann können wir dafür sorgen, dass es ans
Tageslicht kommt. Wenn er nichts verheimlicht, dann wird auch nichts passieren.
Weißt du, wie ich mein?«
Jen nickte zögernd,
nachdenklich.
»Und wenn es schief
läuft? Und er herausfindet, dass wir ihm eine Falle gestellt haben — ich nehm
an, das meintest du — und ausrastet?«, sie war selbst überrascht, wie schnell
wie einlenkte, aber es schien das Natürlichste der Welt zu sein. Charly hat recht! Um herauszufinden, ob Ben
wirklich Dreck am Stecken hat, muss ich ihm eine Art Falle stellen. Nur so
bekomm ich Klarheit. Und nur so kann ich Dan den Wind aus den Segeln nehmen,
wenn er falsch liegt.
»Er wird schon nichts
merken, vertrau mir.«
Jen bemerkte ein
hinterlistiges Funkeln in Charlys Augen, atmete tief durch und fragte:
»Okay, wie sieht dein
Plan aus?«
***
Leo stützte sich auf
Nick, der ihr immer noch ins Ohr säuselte.
»Alter, Nick, ehrlich.
Lass das!«, sie schüttelte sich.
»So lange du dich auf
mich stützt und ich die ehrenvolle Aufgabe habe, dich wach zu halten, wirst du
das ertragen müssen. Und nun, kleines Mädchen, öffnen wir die Türen und treten
ins Sonnenlicht.« Leo spürte, wie Nick seinen Griff um ihre Taille verstärkte,
als er sie durch die Eingangstür der Fakultät bugsierte. Sie blinzelte gegen
das Sonnenlicht und fauchte.
»Bäh! Das is‘ so hell!«
Nicks Lachen verstärkte
ihren Unmut.
»Komm schon, kleines
Mädchen, wir setzen dich jetzt auf die Stufen, die im Schatten liegen und ich
hol dir einen Kaffee. Aber nicht weglaufen oder einschlafen! Und nicht mit
fremden Menschen quatschen!« Selbst mit zusammengekniffenen Augen konnte Leo
Nicks Grinsen noch erkennen.
»Ich hab dich auch
lieb, Nick.«
Jen lächelte. Es war
ein ehrliches, selten gewordenes Lächeln — und das verdankte sie Charly. Nicht
einmal Ben konnte sie so ein Lächeln schenken. Bei Ben fühlte sie sich immer
unsicher und hatte Angst, so zu sein, wie sie wirklich war — wer sagte ihr,
dass er nicht schreiend davon rannte, wenn er begriff, welche Abgründe sich in
ihrer Seele auftaten?
Sie fuhr sich durch die
langen, blonden Haare und entspannte sich etwas. Jen sah sich neugierig um,
suchte Charly, Dan — oder Ben. Doch sie erblickte zunächst nur Leo, die
ziemlich übermüdet und fertig aussah.
Ȇberlegst du, ob du zu
ihr rüber sollst?« Charly stand plötzlich neben ihr. Jen zuckte zusammen und
fühlte sich ertappt.
»Ja, aber ich glaube,
dass ist nicht der richtige Zeitpunkt. Schau, sie sieht total fertig aus. Ich
nehm nicht an, dass sie jetzt in versöhnlicher Stimmung ist.«
»Du willst dich mit ihr
vertragen? Auch wenn wir unsere kleine List noch nicht durchgeführt haben?«
Bei Charlys Worten
nickte Jen.
»Aber, wie gesagt, sie
sieht nicht danach aus, als wäre sie dafür in Stimmung. Weißt du, ich hab über
deine und über Dans Worte nachgedacht. Wenn Ben nicht der ist, für den ihr ihn
alle haltet, kann ich das Leo am ehesten beweisen, wenn sie wieder zugänglich
für mich ist. Und wenn nicht, so hab ich sie an meiner Seite und sie wird mich
auffangen.«
»Das … klingt ziemlich
… berechnend?« Charly schien verwundert und warf Jen einen seltsamen Blick zu.
»Nun schau mich nicht
so komisch an. Ich sicher mich nur ab.« Jen lächelte versonnen und zündete sich
eine Zigarette an.
Sie beobachtete, wie
Charly an ihr vorbei huschte und sich neben Leo setzte.
Wie sich alle immer um
sie kümmern!, schoss es ihr neiderfüllt durch den Kopf und vergaß dabei völlig,
dass sich ihre Freunde hauptsächlich um sie sorgten.
Leo lehnte den Kopf
gegen das Geländer der Treppe, schloss die Augen. Ich will ins Bett!
»Hey!« Eine laute
Stimme riss sie aus ihrem Dämmerzustand und sie schlug sich den Kopf am Metall
an.
»Was zum …?«, sie rieb
sich den Kopf und wandte sich um. Charly saß mit einem breiten, strahlenden
Grinsen neben ihr. »Du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Vom Aussehen her macht
das ja keinen Unterschied, oder?« Charly kicherte.
»Oh ja, sehr lustig.
Was gibt’s? Ich würd gern weiterschlafen. Ich hab ja noch ‘ne gute
Viertelstunde.«
»Warum trinkst du
keinen Kaffee?«
»Weil ich auf Nick
warte, der mir einen bringen wollte. Aber anscheinend muss er die Bohnen erst
mal anpflanzen, hoch ziehen, ernten, mahlen … und so weiter.«, knurrte Leo.
»Man röstet die Bohnen
erst, bevor man sie mahlt.« Ein Becher dampfenden Kaffees tauchte vor Leos
Gesicht auf und Nicks Stimme dröhnte ihr unangenehm in den Ohren.
»Danke, Digger. Aber
bitte, sprich leiser! Da is‘ mir dein Gesinge schon lieber«, sie griff nach dem
Becher und schenkte Nick ein dankbares Lächeln.
»Hallo, Nick.« Leo
verkniff sich ein Grinsen als sie den schwärmerischen Ton in Charlys Stimme
hörte, als diese Nick begrüßte.
»Hey, Erdbeerköpfchen.
Was geht?«
Leo prustete in ihren
Becher, als sie Charly erröten sah.
»Leo, wenn du so weiter
machst, verschüttest du wieder deinen Kaffee. Und nochmal hol ich dir keinen
neuen! Oder halt dich neunzig Minuten wach!« Nick lehnte sich gegen das
Geländer und verschränkte die Arme.
»Okay, tut mir leid.
Ich werde nicht mehr lachen, wenn ich euch zwei turteln seh.« Leo hob die freie
Hand zum Gruß und erhob sich. »So, da das jetzt geklärt ist, ihr zwei Süßen,
werde ich euch jetzt allein lassen und mich mit spanischer Linguistik
langweilen, genauer gesagt mit den Büchern darüber. Die Bibliothek wartet auf
mich. Tut nichts, was ich nicht auch tun würde!«
Mit einem letzten,
amüsierten Blick auf ihre beiden Freunde ging sie gähnend ins Gebäude zurück.
»Was hast du denn
eigentlich mit Jen getuschelt? Sie sah ja auf einmal so fröhlich aus.« Nick
ließ sich neben Charly fallen.
»Es ging um Ben. Mal
wieder. Große Überraschung, nicht wahr? Anscheinend ist Jen schon von Dan
bearbeitet worden und, naja, offensichtlich ist sie mittlerweile für Kritik an
ihrem Loverboy zugänglich.« Charlys Mimik wechselte von ernst zu verspielt, was
Nick faszinierte. Sie kann von jetzt auf
gleich einfach umschalten! Wow! Das ist echt der Hammer!
»Und? Was habt ihr denn
an Ben zu kritisieren? Ich mein, mir ist der Kerl jetzt auch nich‘ besonders
geheuer … hab ich dir schon erzählt, dass er mich am Samstag beim Proben
besucht hat? Total freaky, sag ich dir. Der saß die ganze Zeit da und hat mich
beobachtet.« Nick schüttelte den Kopf.
»Naja, Dan und ich sind
einer Meinung: Ben verheimlicht etwas. Aber wir wissen nicht was. Und dadurch,
dass wir jetzt Jen auf unsere Seite ziehen konnten, haben wir eine reelle
Chance dahinter zukommen.«
»Ziemlich gerissen,
Erdbeerköpfchen. Respekt!« Nick nickte
ihr anerkennend zu. Er bemerkte geschmeichelt, dass sie errötete.
Ein Schatten fiel über
sie. Nick wandte den Kopf, um zu sehen, wer ihnen die Sonne verdeckte.
»Dan, auch schon da?«,
begrüßte er seinen Freund.
»Du hast mit Jen
gesprochen? Wie hat sie deinen Vorschlag aufgenommen?« Dan ächzte, als er sich
zu Charly und Nick auf die Stufen
setzte.
Ȇberraschend positiv.
Aber dann … dann meinte sie, sie würde sich mit Leo wieder vertragen, um ihr
entweder unter die Nase zu reiben, dass sie Unrecht hatte, oder sich von ihr
auffangen zu lassen, wenn Ben wirklich so scheiße ist, wie wir alle vermuten«,
erklärte Charly seelenruhig und lächelte dann wieder versonnen.
»Oha, das verspricht ja
interessant zu werden. Habt ihr schon was Konkretes ausgemacht oder wollt ihr
erst noch abwarten?«, fragte Dan.
Nick runzelte die Stirn
und sah seine Freunde fragend an. Wovon
reden die da bitte?
»Ich weiß es noch
nicht. Kommt jetzt eben auf Jen an. Aber … es verspricht großartig zu werden!«
Charly kicherte.
***
Leo nahm einen Schluck
aus ihrem Becher und hätte beinahe gespuckt.
»Oh Gott, ist das
eklig! Was zum Teufel hat mir Nick denn da gebracht?«, fluchte sie. Vorsichtig
sah sie sich um, dann warf sie den halbvollen Becher in den Müll.
»Na, Hübsche, hat dir
etwa dein Kaffee nicht geschmeckt?« Eduardo drückte ihr einen Kuss auf die
Wange und legte ihr einen Arm um die Taille.
»Nein, ich hab spontan
beschlossen, auf Tee umzusteigen.« Sie wand sich aus seiner Umarmung und
lächelte ihn distanziert an. Himmel, ist
der Kerl aufdringlich!
»Echt? Wie kommt’s? Du
musst mir alles erzählen. Dein Wochenende, wie war’s? Ich hätt echt gern was
mit dir unternommen, aber ich hab deine Nummer nicht.«
Und
du wirst sie auch nicht bekommen, egal wie süß du bist!
»Naja, ich war am
Samstag in der Uni. Kompakttag. Total lustige Veranstaltung.« Leo drängte sich
an ihm vorbei in die Bibliothek und atmete tief durch. Ob ich ihn wohl
abschütteln kann?, fragte sie sich.
»Was machst du hier
eigentlich? So strebsam hätt ich dich nicht eingeschätzt.«
Leo widerstand nur
mühsam den Drang Eduardo ins Gesicht zu schlagen.
»Ich bin gerne
vorbereitet. Damit mich nichts überrascht und da ich nächste Woche einen
Vortrag über die Akzentsetzung im Spanischen halten werde, sollte ich eventuell
ein bisschen was nachlesen. Meinst du nicht auch?« Leo lächelte zuckersüß und
schnappte sich einen der Bücherkörbe. Sie hob die Hand zum Abschied und
verschwand zwischen den Regalen.
»Leo? Leo, warte!«
Eduardos Stimme war viel zu laut für ihren Geschmack und sie huschte zwischen
den Regalen hindurch, die Treppe zur Germanistischen Abteilung hinauf.
»Hier wird er mich
sicher nicht suchen. Hoffe ich.«, murmelte sie und seufzte erleichtert. Mit den
Fingern strich sie über die Bücherrücken, ein seliges Lächeln auf den Lippen.
Sie liebte Bücher. Bücher waren für sie wie Freunde, eine Art Zuflucht vor
ihrer Familie und ihrem Leben. Selbst Lehrbücher waren ihr nicht verhasst,
sondern eine willkommene Abwechslung.
»Oh Gott! Ich bin ein
Freak!« Leo lachte leise.
»Ich mag dich so wie du
bist. Ich fand deine Leidenschaft für Bücher immer sehr erfrischend. Es war mal
etwas anderes, jemanden voller Liebe über das geschriebene Wort reden zu
hören.« Bens Atem kitzelte ihr Ohr, während er ihr diese Worte zuflüsterte.
Leo erstarrte. Ihr
wurde kalt und sie begann zu zittern.
»Warum zitterst du
denn? Ist dir kalt? Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?«
»Nein, du mieses
Schwein! Ich versuche nur mich zu beherrschen, damit ich dir keinen dieser
dicken Wälzer ins Gesicht schlage! Was willst du eigentlich von mir?« Leo war
erleichtert, dass ihre Stimme nicht zitterte. Ben umfasste mit einer Hand ihr
Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.
»Leo, mein Schatz, du
kannst mir nichts vormachen. Du fürchtest dich vor deinen Gefühlen für mich,
nicht wahr? Und glaub mir, eines Tages wirst du sehen, dass es keinen Grund
gibt, sich vor mir zu fürchten. Wir gehören zusammen! Wann begreifst du es
endlich?« Seine Lippen berührten ihre. Sacht. Leos Augen weiteten sich. Doch
bevor noch mehr passierte, zog sich Ben zurück und ließ sie stehen.
Mit klopfendem Herzen
sah ihm Leo nach und versuchte zu begreifen, was sie eben erlebt hatte.