Dienstag, 24. Juli 2012

Leseprobe Café Diary 03 - der Vogel greift an


Tag 15

Leo runzelte die Stirn, als sie Nick am Kaffeeautomaten sah. Verschlafen stolperte sie zu ihm hinüber, benommen den verstreuten Stühlen in der Brecht -Cafeteria ausweichend. Den Weg zur Uni — und nach Tübingen — hatte sie nicht wirklich wahrgenommen. Auch die Begegnung mit Oliver war ihr nur undeutlich in Erinnerung, obwohl sie nicht lang her war.
Mit hängenden Schultern und verquollenen Augen stand sie schließlich neben Nick und versuchte, ein Lächeln zustande zubringen.
»Grundgütiger! Wie siehst du denn aus, Leo? Hast du vergessen dich zu schminken?« Nick starrte sie erstaunt an.
»Nein, ich hab nur wenig geschlafen. Also richtig wenig geschlafen. Und ich seh ohne die Schichten von Schminke wesentlich schlimmer aus. Aber danke, dass du mich darauf hinweist.« Sie gähnte und lehnte sich an ihn.
»Hey, jetzt aber nicht einschlafen!« Nick trat einen Schritt zur Seite. Leo konnte sich gerade noch fangen, ohne auf dem Boden zu landen.
»Alter!«, sie funkelte ihn wütend an.
Nick lachte.
»Leo, ehrlich, also, das sieht echt lächerlich aus. Mit deinen verquollenen Augen kommt dieses »ich werfe dir einen tödlichen Blick zu«- Ding nich‘ gut rüber. Sorry, Kleines.«
Er ging an ihr vorbei und klopfte ihr dabei auf die Schulter. Leo blickte ihm einen Moment hinterher, bevor sie sich mit einem resignierten Seufzer an die Kaffeemaschine stellte. Wahllos drückte sie den erstbesten Knopf und lehnte sich an die Wand. Mit geschlossenen Augen wartete sie ab.
Der Duft von Kaffee, der die Luft erfüllte, und die plötzliche Stille verrieten ihr, dass ihr Becher voll war. Sie linste hinein, um zu erkennen, was sie da eigentlich zu trinken gedachte, gab aber bald auf.
Verdammt! Ich hätt heut echt daheim bleiben sollen!
Leo konzentrierte sich darauf, den Becher nicht fallen zu lassen und lief prompt in jemanden hinein. Mit einem Platschen ergoss sich der Inhalt auf den Fliesen, spritzte an ihr hoch und sie verzog angewidert das Gesicht.
»Leo, pass halt mal auf! Jetzt hab ich Kaffee auf meiner Jeans!« Nick fluchte unverhohlen.
»Sorry, Digger. Aber du standst halt so geschickt und alles an dir hat nach einer Kaffeedusche geschrien … da konnte ich nicht widerstehen! Aber warum lungerst du eigentlich so deppert VOR dem Seminarraum herum? Wolltest du dir Zeit nehmen, um wieder einen spektakulären Auftritt zu planen?« Sie tupfte die Kaffeeflecken mit einem Taschentuch vorsichtig ab.
»Der Raum ist abgeschlossen. Kein Grund zickig zu werden!«
»Hey, wegen dir hab ich jetzt nichts mehr, was mich wach hält!« Leo stemmte die Hände in die Hüften.
»Ich kann dich ja munter halten, indem ich mich neben dich setz und dich alle zehn Sekunden in die Seiten stups.«
Leo streckte ihm die Zunge heraus und setzte sich müde auf einen Tisch an der Wand. Sie lehnte den Kopf dagegen und schloss die Augen. Als Nick wirklich anfing, sie zu stupsen, grummelte sie, wehrte sich aber nicht.

»Ben ist gar nicht so schlimm, wie du immer behauptest, Dan. Er ist echt nett. Richtig nett. Und er mag dich. Und Charly. Und Nick. Ich versteh nicht, warum du immer so gegen ihn hetzt. Nur weil die heilige Leo ihn nicht mag? Schon mal dran gedacht, dass SIE die Böse in dieser ganzen Misere ist? Dass nicht Ben, sondern Leo die Wurzel allen Übels ist?« Jen griff nach Dans Arm und rüttelte daran.
»Jen, das ist doch kompletter Unsinn. Leo versucht doch nur dich zu beschützen. Sie kennt Ben besser als du — es ist doch offensichtlich, dass da was im Busch ist. Du hast dich ja auch nie um Leos Version bemüht, sondern dich nur auf seine Geschichte gestützt. Und die kann durchaus von der Wahrheit abweichen! Warum sollte sie dir denn dein Glück mit diesem Idioten neiden? Und falls es dich beruhigt, ich hab Ben schon nicht gemocht, bevor du mit ihm rumgeknutscht hast. Ich hab den Kerl um Leos Haus rumschleichen sehen — das hat er sicher nicht aus Nettigkeit gemacht! Denk doch mal logisch! Warum schleicht er immer hier an der Uni rum? Warum fragt er dich immer mal wieder nach Leo? Wach doch endlich mal auf!«, er sah ihr eindringlich in die Augen. Er erkannte Zweifel in ihrem Blick und sah, wie sie über seine Worte nachzudenken schien. Dan verkniff sich ein triumphierendes, aber auch erleichtertes Lächeln. Jen lief schweigend weiter, während sich Dan nach Charly umsah. Er musste ihr unbedingt von seinen Fortschritten erzählen.
»Dan? Kommst du? Wir haben gleich lustig Literatur. Das willst du doch nicht verpassen, oder?« Jen war stehen geblieben und schien auf ihn zu warten. Da von Charly nichts zu sehen war, eilte er ihr nach — hauptsächlich um nicht zu spät zu kommen.

***

»Leoohooo. Leeeeoooo.« Nick säuselte der jungen Frau neben ihm leise ins Ohr. Leo zuckte.
»Digger, deine Stimme erinnert mich an diesen Kindersingsang aus den Horrorfilmen. Muss das sein?«, murmelte sie und öffnete langsam ihre Augen. Nick kicherte.
»Aber du bist wach. Und ich hab dir versprochen, dich zu wecken und wachzuhalten.«
»Yey. Hurra. Super.« Leo stützte den Kopf auf die Hände und seufzte.
»Okay, weil du’s bist, hör ich mit singen auf. Aber dann lass uns bisschen quatschen. Die Gute«, er deutete auf ihre Professorin, die stirnrunzelnd dem Referat lauschte, »ist eh beschäftigt mit den Weibern da vorne beim Lauschen, wie sie was von »Ödibus« erzählen. Die katholische Studentenfraktion verunglimpft eines der bedeutendsten Dramen und ich möchte, ehrlich gesagt, nicht zu genau zuhören, denn die Götter meiner Vorfahren könnten mich sonst dazu verleiten anzugreifen und diese Katholiken da vorne für ihre Frevel zu bestrafen.«
»Du laberst manchmal einen Müll! Allerdings hast du bei den Weibern da vorne an der Tafel komplett recht. Is‘ schon übel, was die da verzapfen. Naja. Über was willst du denn reden?« Leo setzte sich etwas aufrechter hin und lächelte müde.
»Was hat es mit Ben auf sich?«
»Nein, bloß keine Zeit verlieren, ne? Was habt ihr alle mit Ben?«
»Also?«
»Lass uns bitte über etwas anderes reden. Ben ist kein Thema, über das ich gerne spreche. Oder überhaupt spreche.«
»Na, dann … was gibt es Neues? Hast du dich in letzter Zeit mal wieder als alt bezeichnen lassen?« Leo konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel, ihren Wunsch, nicht über Ben zu sprechen, zu respektieren — aber das war ihr egal.
»Meinst du diesen Vollpfosten, der mich im Tutorium angesprochen hat?«
»Aye«, bestätigte Nick.
»Hm, also … nein, direkt nicht. Aber er hat mir auf Facebook geschrieben, dass er sich wirklich gern mit mir treffen würd, aber nur, wenn es an einem Ort ist, an dem ihn keiner mit mir sehen kann. Er meinte auch, ich könnt ihn ja besuchen und bei ihm und mit ihm Spaß haben … also, da wusst ich echt nicht, was ich sagen sollt. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Und ich bin viel rumgekommen.«
Nick lachte leise.
»Wieso lässt du dich nicht drauf ein? Man ist nur einmal jung und, ohne dir zu nahe zu treten, du bist es nicht mehr lang. Ich an deiner Stelle hätt‘ nicht gezögert, den Kerl flach zulegen.«
Leo starrte Nick einen Augenblick fassungslos an, dann steckte sie sich die Faust in den Mund, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Als sie seinen verständnislosen Blick bemerkte, kamen ihr Tränen vor lauter Lachen.
»Sorry, ich hab mir grad vorgestellt, wie du und … nein, das war einfach zu lustig!«
Sie fing den strafenden Blick ihrer Professorin auf und senkte den Kopf.
»Du weißt schon, die Katholiken- Fraktion wird dich bluten lassen, wenn du dein Referat hältst.«
»Wurscht.« Leo und Nick grinsten und versuchten sich auf den Unterricht zu konzentrieren.

Jen stach mit ihrem Bleistift auf ihr Dramenanalyse- Buch ein, in Gedanken ganz wo anders. Was Dan über Ben gesagt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwo steckte ein Körnchen Wahrheit in diesem ganzen Chaos und sie würde es finden. Was, wenn er wirklich recht hat und Ben mich nur ausnutzt? Wenn Ben wirklich nur hinter Leo her ist und ich nur ein Mittel zum Zweck bin — oder so? Es ist schon verdächtig, dass er immer hier an der Uni rumstromert und mich nie zuhause besuchen wollte. Und wenn es stimmt, was Dan erzählt hat und Ben wirklich um Leos Haus rumgeschlichen ist, dann … sollte ich mich wohl bei ihr entschuldigen. Jen knabberte an ihrer Unterlippe und massakrierte weiterhin ihr Buch.
»Jen?« Charly hatte sich zu ihr gebeugt.
»Ja?«
Sie spürte, wie jemand vorsichtig ihre Finger um den Bleistift lösten und sie sah auf, ihr Blick klärte sich. Sie bemerkte den besorgten Gesichtsausdruck Charlys, als diese den Stift zur Seite legte.
»Was ist los? Bedrückt dich irgendwas? Hast du Sorgen? Möchtest du mit mir darüber reden?«
Jen seufzte bei Charlys Worten.
»Naja, also … ja, nein…ich weiß nicht«, sie schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf. Jen hatte sich schon lange nicht mehr so hilflos gefühlt. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Was sie denken sollte. Was sie noch glauben durfte.
»Dan hat mit dir gesprochen, richtig?«
»Woher weißt du das?« Jen unterdrückte bei Charlys Worten das Bedürfnis sich selbst zu umarmen. Noch vor zwei Tagen hatte sie Leo für alles verantwortlich gemacht, aber, wenn sie ehrlich war, hatte sie sich ihre Isolation selbst zuzuschreiben. Und die Worte Dans hatten es ihr verdeutlicht, wie falsch sie lag. Oder liegen könnte.
»Nun, wir haben uns beide Sorgen gemacht. Allerdings hatte ich gehofft, ich könnte mir dir sprechen … Dan ist ja nicht immer sonderlich, nun, rücksichtsvoll. Du bist ihm doch nicht böse, oder?«
»Nein, er hat ja irgendwo recht. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass Ben wirklich so sein sollte, wie Dan, du und Leo mir weismachen wolltet. Auch wenn das, was Dan gesagt hat, ziemlich plausibel ist …«, sie brach ab und schluckte.
»Möchtest du es einfach nicht wahrhaben? Wir könnten ja versuchen, ihn zu entlarven. Verstehst du? Wenn er wirklich was verheimlicht, dann können wir dafür sorgen, dass es ans Tageslicht kommt. Wenn er nichts verheimlicht, dann wird auch nichts passieren. Weißt du, wie ich mein?«
Jen nickte zögernd, nachdenklich.
»Und wenn es schief läuft? Und er herausfindet, dass wir ihm eine Falle gestellt haben — ich nehm an, das meintest du — und ausrastet?«, sie war selbst überrascht, wie schnell wie einlenkte, aber es schien das Natürlichste der Welt zu sein. Charly hat recht! Um herauszufinden, ob Ben wirklich Dreck am Stecken hat, muss ich ihm eine Art Falle stellen. Nur so bekomm ich Klarheit. Und nur so kann ich Dan den Wind aus den Segeln nehmen, wenn er falsch liegt.
»Er wird schon nichts merken, vertrau mir.«
Jen bemerkte ein hinterlistiges Funkeln in Charlys Augen, atmete tief durch und fragte:
»Okay, wie sieht dein Plan aus?«

***

Leo stützte sich auf Nick, der ihr immer noch ins Ohr säuselte.
»Alter, Nick, ehrlich. Lass das!«, sie schüttelte sich.
»So lange du dich auf mich stützt und ich die ehrenvolle Aufgabe habe, dich wach zu halten, wirst du das ertragen müssen. Und nun, kleines Mädchen, öffnen wir die Türen und treten ins Sonnenlicht.« Leo spürte, wie Nick seinen Griff um ihre Taille verstärkte, als er sie durch die Eingangstür der Fakultät bugsierte. Sie blinzelte gegen das Sonnenlicht und fauchte.
»Bäh! Das is‘ so hell!«
Nicks Lachen verstärkte ihren Unmut.
»Komm schon, kleines Mädchen, wir setzen dich jetzt auf die Stufen, die im Schatten liegen und ich hol dir einen Kaffee. Aber nicht weglaufen oder einschlafen! Und nicht mit fremden Menschen quatschen!« Selbst mit zusammengekniffenen Augen konnte Leo Nicks Grinsen noch erkennen.
»Ich hab dich auch lieb, Nick.«

Jen lächelte. Es war ein ehrliches, selten gewordenes Lächeln — und das verdankte sie Charly. Nicht einmal Ben konnte sie so ein Lächeln schenken. Bei Ben fühlte sie sich immer unsicher und hatte Angst, so zu sein, wie sie wirklich war — wer sagte ihr, dass er nicht schreiend davon rannte, wenn er begriff, welche Abgründe sich in ihrer Seele auftaten?
Sie fuhr sich durch die langen, blonden Haare und entspannte sich etwas. Jen sah sich neugierig um, suchte Charly, Dan — oder Ben. Doch sie erblickte zunächst nur Leo, die ziemlich übermüdet und fertig aussah.
»Überlegst du, ob du zu ihr rüber sollst?« Charly stand plötzlich neben ihr. Jen zuckte zusammen und fühlte sich ertappt.
»Ja, aber ich glaube, dass ist nicht der richtige Zeitpunkt. Schau, sie sieht total fertig aus. Ich nehm nicht an, dass sie jetzt in versöhnlicher Stimmung ist.«
»Du willst dich mit ihr vertragen? Auch wenn wir unsere kleine List noch nicht durchgeführt haben?«
Bei Charlys Worten nickte Jen.
»Aber, wie gesagt, sie sieht nicht danach aus, als wäre sie dafür in Stimmung. Weißt du, ich hab über deine und über Dans Worte nachgedacht. Wenn Ben nicht der ist, für den ihr ihn alle haltet, kann ich das Leo am ehesten beweisen, wenn sie wieder zugänglich für mich ist. Und wenn nicht, so hab ich sie an meiner Seite und sie wird mich auffangen.«
»Das … klingt ziemlich … berechnend?« Charly schien verwundert und warf Jen einen seltsamen Blick zu.
»Nun schau mich nicht so komisch an. Ich sicher mich nur ab.« Jen lächelte versonnen und zündete sich eine Zigarette an.
Sie beobachtete, wie Charly an ihr vorbei huschte und sich neben Leo setzte.
Wie sich alle immer um sie kümmern!, schoss es ihr neiderfüllt durch den Kopf und vergaß dabei völlig, dass sich ihre Freunde hauptsächlich um sie sorgten.

Leo lehnte den Kopf gegen das Geländer der Treppe, schloss die Augen. Ich will ins Bett!
»Hey!« Eine laute Stimme riss sie aus ihrem Dämmerzustand und sie schlug sich den Kopf am Metall an.
»Was zum …?«, sie rieb sich den Kopf und wandte sich um. Charly saß mit einem breiten, strahlenden Grinsen neben ihr. »Du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Vom Aussehen her macht das ja keinen Unterschied, oder?« Charly kicherte.
»Oh ja, sehr lustig. Was gibt’s? Ich würd gern weiterschlafen. Ich hab ja noch ‘ne gute Viertelstunde.«
»Warum trinkst du keinen Kaffee?«
»Weil ich auf Nick warte, der mir einen bringen wollte. Aber anscheinend muss er die Bohnen erst mal anpflanzen, hoch ziehen, ernten, mahlen … und so weiter.«, knurrte Leo.
»Man röstet die Bohnen erst, bevor man sie mahlt.« Ein Becher dampfenden Kaffees tauchte vor Leos Gesicht auf und Nicks Stimme dröhnte ihr unangenehm in den Ohren.
»Danke, Digger. Aber bitte, sprich leiser! Da is‘ mir dein Gesinge schon lieber«, sie griff nach dem Becher und schenkte Nick ein dankbares Lächeln.
»Hallo, Nick.« Leo verkniff sich ein Grinsen als sie den schwärmerischen Ton in Charlys Stimme hörte, als diese Nick begrüßte.
»Hey, Erdbeerköpfchen. Was geht?«
Leo prustete in ihren Becher, als sie Charly erröten sah.
»Leo, wenn du so weiter machst, verschüttest du wieder deinen Kaffee. Und nochmal hol ich dir keinen neuen! Oder halt dich neunzig Minuten wach!« Nick lehnte sich gegen das Geländer und verschränkte die Arme.
»Okay, tut mir leid. Ich werde nicht mehr lachen, wenn ich euch zwei turteln seh.« Leo hob die freie Hand zum Gruß und erhob sich. »So, da das jetzt geklärt ist, ihr zwei Süßen, werde ich euch jetzt allein lassen und mich mit spanischer Linguistik langweilen, genauer gesagt mit den Büchern darüber. Die Bibliothek wartet auf mich. Tut nichts, was ich nicht auch tun würde!«
Mit einem letzten, amüsierten Blick auf ihre beiden Freunde ging sie gähnend ins Gebäude zurück.

»Was hast du denn eigentlich mit Jen getuschelt? Sie sah ja auf einmal so fröhlich aus.« Nick ließ sich neben Charly fallen.
»Es ging um Ben. Mal wieder. Große Überraschung, nicht wahr? Anscheinend ist Jen schon von Dan bearbeitet worden und, naja, offensichtlich ist sie mittlerweile für Kritik an ihrem Loverboy zugänglich.« Charlys Mimik wechselte von ernst zu verspielt, was Nick faszinierte. Sie kann von jetzt auf gleich einfach umschalten! Wow! Das ist echt der Hammer!
»Und? Was habt ihr denn an Ben zu kritisieren? Ich mein, mir ist der Kerl jetzt auch nich‘ besonders geheuer … hab ich dir schon erzählt, dass er mich am Samstag beim Proben besucht hat? Total freaky, sag ich dir. Der saß die ganze Zeit da und hat mich beobachtet.« Nick schüttelte den Kopf.
»Naja, Dan und ich sind einer Meinung: Ben verheimlicht etwas. Aber wir wissen nicht was. Und dadurch, dass wir jetzt Jen auf unsere Seite ziehen konnten, haben wir eine reelle Chance dahinter zukommen.«
»Ziemlich gerissen, Erdbeerköpfchen.  Respekt!« Nick nickte ihr anerkennend zu. Er bemerkte geschmeichelt, dass sie errötete.
Ein Schatten fiel über sie. Nick wandte den Kopf, um zu sehen, wer ihnen die Sonne verdeckte.
»Dan, auch schon da?«, begrüßte er seinen Freund.
»Du hast mit Jen gesprochen? Wie hat sie deinen Vorschlag aufgenommen?« Dan ächzte, als er sich zu  Charly und Nick auf die Stufen setzte.
»Überraschend positiv. Aber dann … dann meinte sie, sie würde sich mit Leo wieder vertragen, um ihr entweder unter die Nase zu reiben, dass sie Unrecht hatte, oder sich von ihr auffangen zu lassen, wenn Ben wirklich so scheiße ist, wie wir alle vermuten«, erklärte Charly seelenruhig und lächelte dann wieder versonnen.
»Oha, das verspricht ja interessant zu werden. Habt ihr schon was Konkretes ausgemacht oder wollt ihr erst noch abwarten?«, fragte Dan.
Nick runzelte die Stirn und sah seine Freunde fragend an. Wovon reden die da bitte?
»Ich weiß es noch nicht. Kommt jetzt eben auf Jen an. Aber … es verspricht großartig zu werden!« Charly kicherte.

***

Leo nahm einen Schluck aus ihrem Becher und hätte beinahe gespuckt.
»Oh Gott, ist das eklig! Was zum Teufel hat mir Nick denn da gebracht?«, fluchte sie. Vorsichtig sah sie sich um, dann warf sie den halbvollen Becher in den Müll.
»Na, Hübsche, hat dir etwa dein Kaffee nicht geschmeckt?« Eduardo drückte ihr einen Kuss auf die Wange und legte ihr einen Arm um die Taille.
»Nein, ich hab spontan beschlossen, auf Tee umzusteigen.« Sie wand sich aus seiner Umarmung und lächelte ihn distanziert an. Himmel, ist der Kerl aufdringlich!
»Echt? Wie kommt’s? Du musst mir alles erzählen. Dein Wochenende, wie war’s? Ich hätt echt gern was mit dir unternommen, aber ich hab deine Nummer nicht.«
Und du wirst sie auch nicht bekommen, egal wie süß du bist!
»Naja, ich war am Samstag in der Uni. Kompakttag. Total lustige Veranstaltung.« Leo drängte sich an ihm vorbei in die Bibliothek und atmete tief durch. Ob ich ihn wohl abschütteln kann?, fragte sie sich.
»Was machst du hier eigentlich? So strebsam hätt ich dich nicht eingeschätzt.«
Leo widerstand nur mühsam den Drang Eduardo ins Gesicht zu schlagen.
»Ich bin gerne vorbereitet. Damit mich nichts überrascht und da ich nächste Woche einen Vortrag über die Akzentsetzung im Spanischen halten werde, sollte ich eventuell ein bisschen was nachlesen. Meinst du nicht auch?« Leo lächelte zuckersüß und schnappte sich einen der Bücherkörbe. Sie hob die Hand zum Abschied und verschwand zwischen den Regalen.
»Leo? Leo, warte!« Eduardos Stimme war viel zu laut für ihren Geschmack und sie huschte zwischen den Regalen hindurch, die Treppe zur Germanistischen Abteilung hinauf.
»Hier wird er mich sicher nicht suchen. Hoffe ich.«, murmelte sie und seufzte erleichtert. Mit den Fingern strich sie über die Bücherrücken, ein seliges Lächeln auf den Lippen. Sie liebte Bücher. Bücher waren für sie wie Freunde, eine Art Zuflucht vor ihrer Familie und ihrem Leben. Selbst Lehrbücher waren ihr nicht verhasst, sondern eine willkommene Abwechslung.
»Oh Gott! Ich bin ein Freak!« Leo lachte leise.
»Ich mag dich so wie du bist. Ich fand deine Leidenschaft für Bücher immer sehr erfrischend. Es war mal etwas anderes, jemanden voller Liebe über das geschriebene Wort reden zu hören.« Bens Atem kitzelte ihr Ohr, während er ihr diese Worte zuflüsterte.
Leo erstarrte. Ihr wurde kalt und sie begann zu zittern.
»Warum zitterst du denn? Ist dir kalt? Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?«
»Nein, du mieses Schwein! Ich versuche nur mich zu beherrschen, damit ich dir keinen dieser dicken Wälzer ins Gesicht schlage! Was willst du eigentlich von mir?« Leo war erleichtert, dass ihre Stimme nicht zitterte. Ben umfasste mit einer Hand ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.
»Leo, mein Schatz, du kannst mir nichts vormachen. Du fürchtest dich vor deinen Gefühlen für mich, nicht wahr? Und glaub mir, eines Tages wirst du sehen, dass es keinen Grund gibt, sich vor mir zu fürchten. Wir gehören zusammen! Wann begreifst du es endlich?« Seine Lippen berührten ihre. Sacht. Leos Augen weiteten sich. Doch bevor noch mehr passierte, zog sich Ben zurück und ließ sie stehen.
Mit klopfendem Herzen sah ihm Leo nach und versuchte zu begreifen, was sie eben erlebt hatte.

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