Spanien,
16. Jahrhundert
Sie
rannte. Ihre Schritte hallten durch die dunklen Gassen. Sie vergaß alle
Vorsicht, denn sie durfte nicht zu spät kommen. Sie durfte nicht versagen. Sie
musste ihn erwischen, bevor er sich genährt hatte. Erneut. Ohne, dass sie ihn
daran hindern konnte.
Ihre
linke Hand schloss sich krampfhaft um den schwarzen Rosenkranz, den sie immer
bei sich trug. Lautlos begann sie auf Latein zu beten, während sie durch die
Nacht eilte.
Es
war ihre Aufgabe ihn aufzuhalten. War es immer gewesen. Dennoch hatte sie das
Gefühl in diesem Fall, in diesem Jahrhundert zu versagen.
»Das
darf nicht sein! Ich versage nie!«, entfuhr es ihr leise. Als sie um eine Ecke
bog, stieß sie mit jemandem zusammen. Wütend rappelte sie sich auf und wollte weitereilen,
als sie jemand festhielt.
»Was…?«
»Amalia!
Bist du von Sinnen, dich allein auf den Weg zu machen? Weißt du denn nicht,
dass du nicht stark genug bist, wenn wir nicht bei dir sind?« Eine Stimme wie
Samt drang an ihr Ohr. Mit einem Fauchen riss sie sich los.
»Alexander!
Ich habe dich gewarnt. Wenn du mich aufhältst, entkommt er uns. Dann wird es
ein weiteres Opfer geben. Willst du das etwa vor IHM verantworten?«
Amalia
wartete nicht auf eine Antwort. Sie rannte weiter durch die menschenleeren Straßen
Sitges‘. Sie raffte ihre Röcke, während sie die Stufen zur Kirche hinauf eilte.
Als sie auf den glatten, in den nackten Fels gehauenen Stufen abrutschte,
entwich ihr ein verärgertes Fauchen. Ein Schrei durchbrach die Stille der Nacht
und Amalia verkrampfte sich. Sie wagte noch immer nicht ihre wahre Gestalt
anzunehmen. Wenn sie dabei beobachtet werden würde, würde das ihren Tod
bedeuten.
So
schnell sie konnte, kletterte sie die Stufen hinauf und stand auf dem großen
Platz vor der Kirche. Das fahle Mondlicht brach sich an den goldenen Ornamenten
der Tür, vor der jemand zu kauern schien.
Amalias
Finger schlossen sich fester um den Rosenkranz. Langsam schritt sie auf die
Gestalt zu. Je näher sie kam, desto deutlicher glaubte sie schmatzende
Geräusche zu hören.
»Du
kommst zu spät, Kriegerin.« Rau, misstönend drangen diese Worte an ihr Ohr.
Amalia trat näher, den Rosenkranz immer noch fest umklammert.
»Was
ist? Hat es dir die Sprache verschlagen, Gotteskrieger? Ihr seid doch immer
furchtlos, wurde erzählt und nun sehe ich ein kleines Mädchen vor mir, das vor
Angst kein Wort herausbekommt. Das soll alles sein? Du sollst die Gesandte
Gottes sein? Lachhaft!«
»Elendiger
Bastard! Du solltest es besser wissen! Ich bin nicht eine dieser kleinen
Krieger, die ER immer wieder auf Erden schickt! Dieses Mal hast du dich mit
jemandem angelegt, der definitiv eine Nummer zu groß für dich ist!« Amalias
Nasenflügel blähten sich auf. Sie bebte vor Wut. Ein willkommenes Gefühl. Es
verlieh ihr Macht, Kraft, Stärke.
»Sieh
an, sieh an! Ich hätte nicht gedacht, dass auch ihr Gotteskrieger anfällig für
eine Sünde seid! Hochmut kommt vor dem Fall, kleines Mädchen!« Der Dämon hatte
von dem Bündel leblosen Fleisches am Boden abgelassen und schien sich ganz auf
sie zu konzentrieren. Ein prüfender Blick Amalias reichte, um zu wissen, dass
dieser Mensch noch gerettet werden konnte. Sie war also gerade noch rechtzeitig
gekommen.
»Was
glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?« Amalia lächelte den Dämon
zuckersüß an. »Glaubst du allen Ernstes, du bist ein würdiger Gegner für mich?
Das ich nicht lache! Schau genau hin und lerne!«
Bei
diesen Worten streckte sie die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Leise
murmelte sie auf Latein ein Gebet, die »magische« Beschwörungsformel ihrer
himmlischen Kräfte. Sie hörte, wie der Dämon keuchte, als ihre Venen in einem
strahlenden Gold zu leuchten begannen. Die himmlische Kraft, die sie ihr Eigen
nannte, erfüllte sie und ein Gefühl der Freiheit breitete sich in ihr aus, als
sie endlich ihre wahre Gestalt annahm.
»Die
… die Vergeltung Gottes! Du bist die Vergeltung Gottes!«, stammelte ihr
Gegenüber mit brechender Stimme. Amalia breitete ihre Flügel aus, mächtige
Schwingen aus strahlendem Gold.
»Ich
sehe, du erkennst mich. Dann weißt du ja auch, welches Schicksal dich
erwartet?« Amalia streckte beide Arme gerade nach unten. Gleißendes Licht
schien aus ihren Handflächen zu kommen und zwei lange Schwerter mit gebogener
Klinge erschienen. Mit einem grausamen Lächeln ging sie auf den Dämon zu. Für
einen kurzen Moment schien es, als wollte er sich ergeben. Regungslos schien er
Amalia zu beobachten, wie sie mit gezückten Schwertern auf ihn zukam.
Plötzlich
sprang er nach vorne, direkt auf sie zu. Amalia wirbelte um die eigene Achse,
die glänzenden Klingen in tödlicher Präzision ausgerichtet. Schmerzhafte
Schreie durchdrangen die Nacht, als sich der glänzende Stahl in den Körper des
Dämons bahnte.
Ein
triumphierendes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Den Blick unverwandt auf
ihn gerichtet, kniete sie sich über seinen blutenden Leib und rammte ihm ein
Schwert ins Herz. Das andere ließ sie wieder in gleißendem Licht verschwinden.
»Nun
bist du wohl nicht mehr so stark und mutig, kleiner Bastard!«, murmelte sie
zufrieden. Mit der rechten Hand hielt sie sich am Griff ihres, immer noch im
Dämon steckendes, Schwertes fest, während sie sich so weit zu ihm hinab beugte,
dass sich ihre Gesichter fast berührten. Die linke Hand über seinem Gesicht
schwebend, baumelte ihr schwarzer Rosenkranz vor seinen Augen. Zufrieden bemerkte
sie die Angst, die ihn überkam.
»Im
Namen des Herrn, verbanne ich dich aus dieser Welt, auf das deine Essenz für
immer verloren geht! Ich bin die Vergeltung des Lichtes! Beuge dich meinem
Urteil!«
Amalias
Augen begannen hell zu leuchten, als sie die Essenz des Dämons in ihren
Rosenkranz zog und dort verschloss.
Noch
während sie sich erhob und das Schwert wieder zu Licht wurde, löste sich der
Körper des Dämons in Asche auf. Sie senkte den Blick, konzentrierte sich,
beschwor Wind und ließ diesen die Überreste hinfort wehen.
»Amalia!
Ist alles in Ordnung mit dir? Bist du verletzt?«
Sie
drehte sich um. Alexander war aufgetaucht und mit ihm auch die anderen zwei
ihres Viererbundes.
»Alexander,
Hannah, Johannes! Schön, dass ihr es auch mal geschafft habt! Mir geht es gut,
aber dieser Mensch«, sie deutete auf das blutige Bündel an den Pforten der
Kirche, »hat nicht mehr lange, wenn ihr ihm nicht schnell helft.«
Hannah
und Johannes eilten sofort zu dem leblosen Wesen, dessen Blut den Boden
tränkte. Alexander trat auf Amalia zu, die beobachtete, wie Hannah und Johannes
die Seele des Menschen daran hinderten, die sterbliche Hülle zu verlassen. Sie
sah, wie Hannah ihre Kräfte einsetzte, um neues Fleisch, neues Blut entstehen
zu lassen. Alexander schloss sie in die Arme und Amalia schenkte ihm endlich
ihre Aufmerksamkeit.
»Was
ist?« Sie klang ungehalten.
»Du
bist verletzt. Ich kann es sehen. Lass dir bitte von Hannah helfen. Bitte! Und
versprich mir, dass du nie wieder alleine losgehst!« Sie glaubte, Tränen in
seiner Stimme zu hören und warf ihm einen verwunderten Blick zu.
»Alexander,
was hast du denn?« Amalia rückte ein Stück von ihm weg, den Kopf geneigt, um
ihn besser beobachten zu können.
»Ich
ertrage es nicht, wenn du verletzt wirst! Ich ertrage den Gedanken nicht, dass
ein anderer Hand an dich legt! Du magst vielleicht als oberste Kriegerin
auserwählt sein, aber ich wünschte, es wäre nicht so! Ich weiß nicht, ob ich es
ertragen könnte, wenn du nicht mehr bist! Wenn dir etwas geschieht! Du bist die
Vergeltung und ich die Gerechtigkeit! Wir können ohne den anderen nicht sein!
So ist es uns bestimmt!«
Mit
einem sanften Lächeln auf dem Gesicht bettete sie ihren Kopf an seine Brust.
Ein warmes, wohliges Gefühl breitete sich in ihr aus.
»Du
hast ja Recht. Es tut mir leid!«, murmelte sie. Alexanders Arme schlossen sich
noch fester um ihren Körper.
Ein
Husten riss die beiden aus ihrer Umarmung. Sie wandten sich beide um und
erblickten das Opfer des Dämons. Lebendig, aber noch zu schwach, um
aufzustehen, hatten Hannah und Johannes ihm das Leben gerettet.
Amalia
und Alexander tauschten einen Blick. Sie wussten genau, was sie jetzt zu tun
hatten. Amalia, noch immer ganz der Engel, trat an den Menschen heran und legte
ihm sanft die Hand auf die Stirn. Ihre Augen erstrahlten heller als zuvor bei
der Verbannung des Dämons. Der Gesichtsausdruck des Menschen verlor sich, wurde
weich, ausdruckslos, bevor er das Bewusstsein verlor. Mit Bedauern verwandelte
sich Amalia in die junge Frau zurück, die sie hier in der Welt der Sterblichen
vorgab zu sein.
Alexander
hatte in der Zwischenzeit den Pastor der Kirche benachrichtigt. Zusammen eilten
sie nun zu dem Verletzten, um ihn in den Schutz der Kirche zu bringen. Dort
würden seine Wunden verheilen.
»Hast
du all seine Erinnerungen gelöscht?«, fragte Alexander, während Johannes
mithilfe des Pastors den Verwundeten in Sicherheit brachte.
»Natürlich.
Und ich habe zudem sein Gedächtnis manipuliert. Er glaubt nun, von einem
Banditen überfallen worden zu sein.«
»Unser
Geheimnis ist also sicher?«, mischte sich Hannah flüsternd ein.
Amalia
nickte. Sobald Johannes die Kirche verließ und die Pforten hinter ihm ins
Schloss fielen, verschwanden die Vier in der sicheren Dunkelheit.
Hoch
oben, auf der Spitze des Glockenturmes, stand eine Gestalt. Der Wind bauschte
den dunklen Mantel auf, verhüllte sein Gesicht mit langen Strähnen seines
Haares. Es schien, als würde sein Blick Amalia folgen. Als die junge Frau in
den Schatten der Nacht verschwunden war, wandte sie sich ab und schien mit dem
Nachthimmel zu verschmelzen. Der Wind trug leise seine Worte hinfort.
»Egal,
wo du sein wirst, ich werde dich finden. Wir gehören zusammen. Für immer.«
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