Montag, 14. Januar 2013

2. Auszug aus "Verführt"



Das sanfte rauschen und der salzige geruch des meeres hüllten sie ein. Sie schlang die arme um ihren oberkörper. Sie war zuhause!
Eine unendliche ruhe legte sich auf ihren geist. Sie fühlte sich frei, so frei wie noch nie in allen Jahren, in denen sie gelebt hatte.
Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief durch.
Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass der Mond zum greifen nah schien.
Sie kannte diesen Ort. Sie war hier schon einmal, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben. Sie konnte ihn spüren. Seine Präsenz. Denn hier, an diesem Ort, hatten sie sich immer zurückgezogen, wenn sie allein sein wollte.
Am liebsten würde sie sich vollkommen fallen lassen, wenn die Gefühle, die auf sie einstürzen, drohten sie zu bewältigen. Liebe. Begehren. Sehnsucht – es war, als würde sie entzwei gerissen.
Sie sank auf die Knie. Sie krümmte sich zusammen, den Kopf in den Händen gestützt, Erinnerungen und längst vergessene Träume wirbelten durch ihre Gedanken.
Ein Gesicht. SEIN Gesicht. Immer nur er. Nie ein anderer. War es nie gewesen.
Tränen rannen in Sturzbächen über ihre Wangen und sie begriff, was immer geleugnet hatte. Sie liebte ihn. Hatte ihn immer geliebt. Und würde ihn immer lieben.
Ein lautes schluchzen entfuhr ihr, durchbrach die Stille und erschütterte sie. Sie sollte eigentlich nicht fühlen, sie durfte nicht fühlen und dennoch – ihr Herz ging ihr über vor Liebe.
Zitternd erhob sie sich, wandte sich um und ließ den Blick über die Landschaft gleiten. Sie lächelte, als sie die Farben der Magierstämme erkannte.
Ist dies die Zukunft? Die Stämme erstarkt, auferstanden und vereint? Und welche Rolle spielte sie dabei?
In der Ferne loderte eine Flamme auf, wild und lebhaft, und sie erkannte, dass es sich um Raphaios handelte. Unbändige Freude erfüllte sie und für einen Moment verlor alles an Bedeutung.
Dunkle Federn wirbelten durch die Luft, die Dunkelheit wurde von einem hellen, gleißendem Licht verdrängt man mit einem Seufzer der Erleichterung fielen die Fesseln und Bande von ihr ab, die sie innerlich zerrissen.
Frei von allem, was sie band, wollte sie auf ihn zu eilen.
Ein plötzlicher Schmerz ließ sie erbleichen. Sie keuchte, stolperte und fiel zu Boden. Auf allen vieren, die Handflächen fest auf dem Boden gepresst versuchte sie herauszufinden, was mit ihr geschah. Das Meer bäumte sich auf, die Wellen brachen hoch an den scharfkantigen Felsen, während in ihrem Kopf eine Stimme nach ihr rief, sie anschrie, ihr befahl wieder sie selbst zu sein.
Schatten griffen nach ihr, drangen in sie und vergifteten ihr Herz. Ihre Schreie hallten durch die Nacht, erzürnten die Wellen. Auf ihrer bleichen Haut zeichneten sich ihre Venen überdeutlich ab durch die Finsternis, die sich ihrer bemächtigte, verfärbten sie sich schwarz.
Die Stimme, die sie rief, die sie aus dieser Illusion, ihrem Traum gerissen hatte, gehörte ihrer besten Freundin Mirjam.
»Amandria, was auch immer du da treibst, es ist an der Zeit zurückzukehren. Dein Typ wird verlangt und du hast definitiv keine Zeit für Tag Tagträume!«
Als sie den Kopf hob, hatte ihre Haut wieder ihre normale Farbe und das einzige leuchtende, helle ein ihr waren ihre Augen, die in einem satten, an frisch vergossenes Blut erinnernden Rot glühten. Nichts an ihr erinnerte an die freie, junge Frau, die vor wenigen Augenblicken noch so glücklich gewirkt hatte.

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